Nach FRIDA, COCO CHANEL und kürzlich LOU ANDREAS-SALOMÉ kommt nun mit PAULA wieder ein gleichnamiger Film über eine Frau, die Großes geleistet hat und ihrer Zeit voraus war, in unsere Kinos. Es ist gut, daß alle paar Monate ein neuer Film von diesen widerständigen Leben erzählt, die ganz automatisch den Heldenreisen gleichen, die sich Dramaturgen für einen spannenden Film sonst mühevoll ausdenken müssen. Denn es sind vor allem die Geschichten der Vergessenen, der Einsamen, in denen wir uns wiederfinden, und die uns aufmerksam machen auf das, was wir zu oft erst nach ihrem Tod bestaunen. „Das sind Ihre Empfindungen?“, fragt der Künstler Otto Modersohn erstaunt, als er das erste Mal Paula Beckers Malstil sieht. Es ist Anfang des 20. Jahrhunderts für eine Frau nicht zeitgemäß, mit dem Pinsel die eigene Sicht auf die Dinge auf die Leinwand zu bringen, anstatt die Natur detailgetreu nachzubilden. Daß Paula Modersohn-Becker heute zu den bedeutendsten Malerinnen des frühen Expressionismus zählen würde, konnten die beiden natürlich nicht ahnen.
Carla Juri, die mit ihrer Rolle in Charlotte Roches FEUCHTGEBIETE Aufsehen erregte, spielt diese widerspenstige Paula glaubhaft. Verträumt und eigenwillig ist sie, manchmal scheint es, als sei sie aus einer anderen Welt auf unsere Erde gefallen. Auch überträgt Juri jene andere Art von Schönheit, nicht die klassische zarte, sondern die rätselhafte, markante – die einer Künstlerin, die sich in einer Zeit behaupten mußte, als Frauen noch als reine Anhängsel von Männern gesehen wurden. „Du wirst keine namhafte Künstlerin“, sagt gleich am Anfang des Films auch Paulas Vater, und das, obwohl er für die geliebte Tochter nur das Beste will. Doch Paula weigert sich, in diese Rolle gepreßt zu werden und marschiert los. Zuerst ins Künstlerdorf Worpswede, wo sie ihren späteren Ehemann Otto Modersohn kennenlernt. Später geht sie nach Paris, wo sie in die Kunstwelt eintaucht und das Leben als freie Frau auskostet, so wie Männer das auch gemacht hätten.
Und trotzdem erzählt Regisseur Christian Schwochow, der bekannt dafür ist, historische Stoffe feinfühlig umzusetzen, keine reine Emanzipationsgeschichte einer Frau von ihrem fremdbestimmten Leben, sondern eben auch die Liebesgeschichte zwischen Paula und Otto. Dabei wird zu Beginn des Films schnell klar, daß ihr Verhältnis kein ausgewogenes ist. „Das ist auch für Dich“, sagt er zu ihr und wedelt mit Geldscheinen unwirsch vor ihrem Gesicht hin und her. Doch sie kann sich nicht freuen, nur weil er mal wieder ein Bild verkauft hat, während ihre unangetastet in der Ecke stehen. Otto schätzt seine Frau. Doch erst als die Ehe kurz vor dem Aus steht, weitet er seinen Blick und öffnet sich wirklich ihrer Kunst, diesen seltsamen und melancholischen Abbildern innerer Seelenzustände. Da gibt es eine nackte Mutter mit Kind oder Paulas Selbstporträt mit riesigen dunklen Augen: Nichts sieht so aus, wie es wirklich aussieht, und trotzdem ist alles echt.
So wie Paulas Werk lange Zeit brauchte, um eine Öffentlichkeit zu finden, brauchte auch der Film seine Zeit. Schon Ende der 80er Jahre hatten die Autoren Stefan Kolditz und Stephan Suschke begonnen, an einem Drehbuch zu arbeiten. Die DEFA war interessiert, das Projekt wurde in den Umbruchzeiten dann doch nicht realisiert. Christian Schwochow hat Jahre später nun den richtigen Tonfall gefunden, Paulas Leben in Bilder zu übersetzen. Die sind groß und kunstvoll, manchmal ein wenig zu perfekt für eine Frau, die gerade das Nicht-Perfekte zelebrierte. Und trotzdem: PAULA ist einer der ganz großen Filme in diesem Jahr.
D 2016, 123 min
FSK 12
Verleih: Pandora
Genre: Drama, Biographie
Darsteller: Carla Juri, Albrecht Abraham Schuch, Roxane Duran
Regie: Christian Schwochow
Kinostart: 15.12.16
[ Claudia Euen ]