Es gibt ein schönes Buch der Fotografin Lilian Birnbaum: „Porträt des Dichters in seiner Abwesenheit“ heißt es. Peter Handke ist der Dichter, der in diesem Buch, einem Fotoband, porträtiert wird. Und das, wie der Titel verrät, trotz seiner Abwesenheit, also obwohl – und das Paradoxon geht hier wunderbar auf – man Handke auf keinem der Bilder zu sehen bekommt. Stattdessen: ein Konglomerat an Lebens-Spuren. Ansammlungen, Ablagerungen. Mal wie drapiert, mal wie hingeworfen. Federn, Bleistifte, Pilze. Jacken über einer Stuhllehne. Ein alter Gartentisch, ein verrosteter Kinderwagen. Es sind Impressionen, Stilleben, Arrangements aus jenem Haus in jener „Niemandsbucht“ im Pariser Vorort Chaville, wo der Autor seit weit über 20 Jahren sein Domizil, seine Enklave gefunden hat, und wo ihn jetzt auch die Dokumentarfilmerin Corinna Belz besuchte, um sich ihrerseits daran zu machen, ein Porträt zu wagen. Eins des anwesenden Dichters.
Ein Wagnis nun ist das durchaus. Weil Handke bekanntermaßen auch der widerwillige Wald- und eigensinnige Einzelgänger ist, allergisch auf die Ödnis verallgemeinernder (medialer) Zuschreibungen und manchmal eben auch auf das (verständliche) neugierige Insistieren Belz’ reagierend. Dabei ziehen beide ja in gewissen Punkten durchaus an einem Strang. In einem Interview monierte Belz einmal genervt mit Blick auf einschlägige Porträts, daß da nur noch „ ... einer vom anderen abschreibt und filmt“ und so gehe es „ ... endlos weiter. Die Beiträge werden immer kürzer und das vermittelte Wissen immer schmalbrüstiger.“
Und vielleicht ist es ja auch die Aversion gegen dieses „schmalbrüstige“ (die Handke teilen dürfte), die hier zumindest ein wenig mithalf, daß dann die Sprach- und Filmbilder, die Stimme des Schriftstellers und die Melodie der Montage, kurz: das Belz und Handke zueinanderfinden. Es stört dabei dann auch gar nicht, daß Belz gelegentlich ein wenig wie pflichtschuldig das biographische Terrain durchmißt, oder einschlägige Bilder (der Dichter im Vorstadtzug, am Schreibtisch, beim Spazieren) mal wieder mit Musik von Bach oder Vivaldi unterlegt sind. Der grundlegenden Neugier und echten Aufmerksamkeit, Zuneigung auch, die wie selbstverständlich in diesem Film treibt, tut das keinen Abbruch.
Und so sind sie aus diesem Grund dann doch noch einmal neu zu erleben: die alten und weniger alten Schlachten des Peter Handke. Das Rebellische, die fast heilige Wut oder auch mal nur närrische Großmäuligkeit. Man muß das gelegentliche Lächeln des fast 75jährigen sehen, wenn er sich daran erinnert. Oder an die gemeinsame Zeit mit seiner Tochter. Und dann dieser plötzliche Ausdruck von Stille- und Alleinseinsehnsucht im Gesicht. Das Schreiben. Und wie die Kamera auf die Titel der Buchrücken blickt: „Das Gewicht der Welt“, „Die linkshändige Frau“, „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“, „In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus“, „Der kurze Brief zum langen Abschied“, „Wunschloses Unglück“, „Mein Jahr in der Niemandsbucht“ …
Man sieht und liest das und begreift, daß man Handke näher als hier nicht kommen kann. Ansammlungen, Ablagerungen, Lebensspuren. Literatur. Anwesender als in diesen Sequenzen, in denen der Dichter nicht zu sehen ist, ist der Dichter nie in Belz’ Film. Das ist alles andere als ein Manko. Das Paradoxon geht auch hier auf.
D 2016, 89 min
FSK 0
Verleih: Piffl
Genre: Dokumentation, Biographie
Regie: Corinna Belz
Kinostart: 10.11.16
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.