Originaltitel: OT: PETER VON KANT
F 2022, 86 min
FSK 16
Verleih: MFA
Genre: Drama
Darsteller: Denis Menochet, Isabelle Adjani, Khalil Gharbia, Hanna Schygulla
Regie: François Ozon
Kinostart: 22.09.22
Ja, das klingt lustig. Dieses motivisch wiederkehrende deutsche „Prost!“ im französischen Redefluß dieses ja auch sehr französisch geratenen Films. Der freilich wiederum einen sehr deutschen Film und dessen ebenfalls recht deutschen Regisseur gleich mit seine Referenz erweist: DIE BITTEREN TRÄNEN DER PETRA VON KANT heißt Rainer Werner Fassbinders berühmtes Werk, das 1972 in die Kinos kam und das jetzt, ein halbes Jahrhundert später, schlicht als PETER VON KANT noch einmal aufersteht.
Und das nicht als bloßes Remake, nicht einmal als Hommage im engen Sinne, sondern vielmehr als eine Art gestaltenwandelnder Wiedergänger, der sich selbstbewußt die Tränen aus dem Gesicht (sprich: Titel) gewischt und sich ebenso selbstbewußt von den 124 korpulenten Minuten des Originals auf jetzt elegante 84 Minuten Spieldauer verschlankt hat. Und der – weit wichtiger als all das – dabei nicht nur das Geschlecht der Hauptfigur wechselte, sondern dieser auch noch in Erscheinungs- und Charakterbild offenkundig Züge Fassbinders verlieh: Peter von Kant, exaltiert, hochemotional und empfindlich, ist ein großer Regisseur, vielleicht ein Genie – nur interessiert das grad keinen. Von Kants Stern scheint am Sinken. Zwischen Delirium und Depression wankt der Regisseur durch sein weitläufiges Kölner Atelier, schikaniert seinen ihm in treuer Wortlosigkeit ergebenen Assistenten Karl, stürzt sich abwechselnd in Aktionismus oder Apathie und hofft stoisch auf das große Comeback. Die Gelegenheit dazu bietet sich, als mit der Schauspielerin Sidonie, einstige Muse von Kants, der so junge wie schöne Amir zu Besuch kommt. Neben Begehren und Liebe entflammt auch neue Schaffenskraft in von Kant. Tatsächlich macht der Amir nicht nur zu seinem Geliebten, sondern auch zum Filmstar. Doch ist die Hierarchie des Abhängigkeitsverhältnisses, die diese Konstellation impliziert, weit fragiler, als von Kant glaubt.
Das muß man schon sagen: Es hat Chuzpe, was sich da der französische Regisseur und erklärte Fassbinder-Fan François Ozon mit PETER VON KANT geleistet hat. Auf deutschen Theaterbühnen nennt man derlei gern mal „Überschreibung.“ Was kaum mehr heißt, als daß aus einem bekannten „klassischen“ Stoff die irgendwie als „gegenwartsrelevant“ empfundenen Motive gepuhlt und zeitgeistgenössisch aufgepäppelt werden. Ein Prozedere, das sich zugegebenermaßen bei Fassbinders PETRA VON KANT fast aufdrängt. Zum einen, weil der Film selbst auf einem Theaterstück Fassbinders fußt, zum anderen, weil der Regisseur erklärtermaßen damit zeigen wollte, „wie wir fehlgeleitet werden durch unsere Erziehung und durch die Gesellschaft, in der wir leben.“
Phrasen, für die Ozon erfreulich taub blieb. Und einem somit auch die „Überschreibung“ ersparte. Klar: Motive des Originals sind deutlich erkennbar. Gerade dort, wo sie schon postulierend offensichtlich abgewandelt („überschrieben“) in Erscheinung treten. Aber die Intention, mit der das geschieht, mit der etwa aus Fassbinders Modedesignerin Petra der Regisseur Peter wurde und sich insgesamt der reine Frauenensemble-Film des Originals zum Porträt zerstörerisch männlicher Künstler-Egomanie wandelte, steht diametral zu der Fassbinders.
Gesellschaftskritik treibt Ozon nicht um, auch wenn sein Film die gehörige Portion „toxischer Männlichkeit“ nicht unterschlägt, die von Kant eigen ist. Doch ist das eben nur ein Aspekt einer komplexen, ambivalenten, mal einschüchternden, mal lächerlichen, mal abstoßenden, mal anrührenden Figur. Und um genau die geht es Ozon. Sein Film ist eine Liebeserklärung an jemanden, den man nur schwer (gar nicht?) lieben kann. Und so nahe einem dabei von Kant kommt, so fern bleibt er zugleich. Ist eingesponnen in seine Exaltiertheit, ist so absurd wie dieses deutsche „Prost!“ im französischen Redefluß.
Was im übrigen nur ein Grund ist, diesen elegant fotografierten und toll besetzten Film unbedingt in der Originalfassung anzuschauen. Ein anderer ist, wie in einer Nebenrolle Fassbinder-Muse Hanna Schygulla mit einem (natürlich deutschen) Schlafliedchen den berserkernden von Kant besänftigt. Was zeigt, daß – schwule Egomanen hin, toxische Männlichkeit her – französisches Kino letztlich doch immer irgendwie den Frauen gehört. Worin PETER VON KANT dann auf gewitzte Art auch wieder Petra von Kant gerecht wird.
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.