Motivierend vorweg: Lassen Sie sich nicht vom deutschen Titel täuschen! Was hierzulande verdächtig nach Girlie-Comedy riecht, ist tatsächlich eine mit Standing Ovations beim Sundance Film Festival und diversen Preisen für Patricia Clarkson noch gering entlohnte Perle des frühen Kinojahres.
Wenig vorfreudig sitzt Joy Burns am frühen Morgen im Auto, schließlich hat ihre Älteste die gesamte Sippe zum Thanksgiving-Truthahn geladen, worüber niemand überraschter gewesen sein dürfte als sie selbst. Seit Jahren herrscht kalter Krieg zwischen Joy und April, welche schon immer ihrem Namen alle Ehre machte, aufmüpfig, launisch, unangepaßt war. Eben der von Eltern "unsere andere Tochter" benannte Typ Kind. Doch all dies ist für April kein Grund, das Angebot zurückzuziehen. Nicht mal, als der Ofen streikt – schließlich gibt es Nachbarn. Während April nun die ganze häusliche Bandbreite von Egozentrikern, Misanthropen und liebenswert schrägen Leuten um Hilfe bittet, erahnt man langsam das verletzte Mädchen mit trotziger "Allein gegen die Welt"-Attitüde. Joy dagegen läßt während der Fahrt nicht nur Verbitterung und hämischem Spott freien Lauf, sondern muß auch endlich lernen, ihren Ängsten zu begegnen. Was als Anstandsbesuch begann, wird für alle Beteiligten zur Reise ins Ich, traumwandlerisch sicher auf dem schmalen Grat zwischen Komik und Tragik wandelnd, ohne jemals zu viel zu sagen, zu zeigen oder gar abzustürzen.
Diese dramaturgische Meisterleistung vollzieht sich konsequent bis zum Schluß. Zwar wächst Familie Burns ans Herz, und man wünscht ihr alles Glück – dennoch kann es für sie kein Happy End im Sauseschritt geben. So steht am Abend dieses Tages lediglich ein Foto, gleichsam eine genutzte Chance, ungeachtet begangener Fehler menschlich zu wachsen, Risiken einzugehen und auch loszulassen. Ob darin die stille Hoffnung auf Annäherung oder der endgültige Abschied verborgen liegt, ist letztlich nicht wichtig, weil beides versöhnlich und heilsam wäre. Das mag unmöglich klingen. Wer aber April Burns kennenlernt, versteht zukünftig manches besser.
Originaltitel: PIECES OF APRIL
USA 2003, 75 min
Verleih: Solo Film
Genre: Komödie
Darsteller: Katie Holmes, Patricia Clarkson, Alison Pill, Sean Hayes, Oliver Platt
Stab:
Regie: Peter Hedges
Drehbuch: Peter Hedges
Kinostart: 19.02.04
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...