Daß sein Abschlußfilm während der Kritikerwoche in Cannes einen Drehbuchpreis erhielt, war für Matthias Luthardt natürlich ein toller Erfolg. Die große Überraschung dürfte allerdings der Jugendkritikerpreis gewesen sein. Denn die französische Kritik liebt ja den neuen deutschen Film. Aber die Jugend? In einem eher unaufgeregten Bilderfluß erzählt, entwickelt PINGPONG jedoch einen so starken Sog, daß mehr Aufregung gar nicht wünschenswert wäre.
Der 16jährige Paul steht an einem heißen Sommertag unangemeldet vor der Tür von Onkel Stefan und Tante Anna, die sich auf der Rückseite des abgeschiedenen Bungalows in der Sonne aalen. Über Pauls Wunsch, bei ihnen die Ferien zu verbringen, sind sie zunächst nicht so begeistert, doch sie haben es ihm zur Beerdigung seines Vaters selbst angeboten. Während Paul versucht, sich durch das Kacheln des stillgelegten Schwimmbeckens nützlich zu machen, wird sein gleichaltriger Cousin Robert von Anna unnachgiebig auf dem Klavier gedrillt. Die Mutter merkt dabei nicht, daß ihr Sohn regelmäßig zur Flasche greift. Als Onkel Stefan geschäftlich nach Madrid muß, bleiben die drei - zusammen mit Hund Schumann - unter sich, und der emotional angeschlagene Paul wird zum Spielball zwischen Mutter und Sohn. Etwas voreilig deutet Paul Annas neues Verhalten und die sich entwickelnde erotische Spannung als Liebe. Doch die ersehnte Geborgenheit schlägt in Kälte um, und die Masken der idyllischen Familienwelt fallen auch für ihn.
Das Trauma und die ungewollte Eigendynamik des Familienlebens, ein zeitloses Thema, daß bei Luthardt jedoch nicht nur bitter ist, sondern auch voller ironisch-humorvoller Winke: wenn Robert beim Trinken stets die Eiswüfel absaugt und unwillig zwischen seinen Zähnen zermalmt oder wenn Anna ihrem Liebling Schumann ein Geburtstagsständchen à la Marylin Monroe singt. Mehr braucht es nicht: Gesten, Blicke, Andeutungen, jeder Satz und jeder Einstellungswechsel ein Schlagabtausch. Dazu schlichte, aber wirkungsvolle Bilder für das Innenleben, etwa wenn Paul verloren im leeren Schwimmbecken steht.
Apropos Swimmingpool. Die sommerliche Szenerie erinnert zuweilen an den französischen Klassiker aus den 60ern. Doch die Liste der möglichen guten Vorbilder wäre lang.
D 2006, 89 min
Verleih: Arsenal
Genre: Drama, Erwachsenwerden
Darsteller: Sebastian Urzendowsky, Marion Mitterhammer, Clemens Berg
Regie: Matthias Luthardt
Kinostart: 16.11.06
[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...