"Seid ihr alle da?" Ein vielstimmiger Kinderchor antwortet mit kräftigen Lungen, winkend, trampelnd und erklärt sich bereit, an der Magie mitzuwirken. Ganz Auge und Ohr sein, bedingungslos, für immer. Roberto Benigni kündigt diesen Vertrag und verzichtet hochnäsig auf die Mitarbeit des Publikums: Er brüllt und zappelt lieber selbst, lacht laut aber allein, jammert noch lauter aber einsam und ist sich darin genug. Also, Hals- und Beinbruch für einen Egotrip durchs Märchenland! Staunt nicht so verträumt über den Zauber, der einem wild gewordenen Pinienstamm hier Zutritt verschaffte! Macht den Mund zu und gebt Fersengeld, denn das polternde Ding droht, gleich zu Beginn aus den Kulissen Kleinholz zu machen.
Unter den Händen des alten Geppetto schält sich der fünfzigjährige Regisseur und Hauptdarsteller samt Kostüm aus dem Holz und stellt sich als Pinocchio vor. Wer’s glaubt, durchläuft mit ihm einen Erziehungsmarathon, bei dem Fuchs und Katz Naivität mit Erhängen bestrafen, das Gericht für ein Kavaliersdelikt Gefängnis verordnet, Selbstsucht tötet, Müßiggang die Verwandlung in einen Esel nach sich zieht, wo vom Lügen die Nase wächst. In Carlo Collodis Kinderbuchklassiker könnte man angesichts solch pädagogischer Härte eine Seite überspringen oder sich von den Zauberfiguren, den Märchenlandschaften, der Sympathie für einen liebenswerten Kasperkopf trösten lassen. Doch Benigni überschreit die silbrig und magisch klirrenden Momente seiner Verfilmung, bequasselt die
Fee mit den blauen Haaren, statt vor ihrer Güte und Schönheit zu verstummen. Der lebenslustige Schulschwänzer und Weltentdecker will Freund werden und bleibt doch nur plärrender Hampelmann.
Ein lang gehegter Lieblingsplan war dieser Film, Fellini soll daran mitgedacht haben, viel Geld wurde dafür ausgegeben. Aber in der aufwendigen Ausstattung hat man den Platz für die Phantasie vergessen - alle Bilder sind schon ausgemalt. Die Tugendfabel erliegt einem Laster, das Collodi im vorletzten Jahrhundert einfach übersehen hat: die Eitelkeit.
Originaltitel: PINOCCHIO
I/USA 2002, 108 min
Verleih: Falcom
Genre: Literaturverfilmung, Märchen, Kinderfilm
Darsteller: Roberto Benigni, Nicoletta Braschi, Carlo Giuffré, Kim Rossi Stuart
Stab:
Regie: Roberto Benigni
Drehbuch: Roberto Benigni
Kinostart: 13.03.03
[ Sylvia Görke ]