Originaltitel: A CIAMBRA
I/D 2017, 118 min
FSK 12
Verleih: DCM
Genre: Drama, Erwachsenwerden
Darsteller: Pio Amato, Koudous Seihon, Iolanda Amato, Damiano Amato
Regie: Jonas Carpignano
Kinostart: 05.04.18
Das dichte Porträt des 14jährigen Romajungen Pio, der mit seiner Familie in der Wohnsiedlung Ciambra in Gioia Taura lebt, verwischt gekonnt die Linien zwischen Dokumentar- und Spielfilm. Im italienischen Niemandsland treffen harte Lebensbedingungen und trister Alltag auf das soziale Gefüge aus einem Schmelztiegel an Kulturen mit all ihren Rassismen und das laute Familienleben der Amatos. Regisseur Jonas Carpignano, durch sein Erstlingswerk MEDITERRANEA bekannt, bleibt auch hier der Region Kalabrien treu und schafft es mit Finesse, eine fiktive Erzählung in reale Begebenheiten einzubetten.
Im Zentrum der Erzählung steht Pio, der seinen Halt bei Freund und Guide Ayiva findet, einem Migranten aus Burkina Faso. Angesichts unglaublich starker Szenen, die vielmehr Situationen sind, derart lebensnah, daß man sie so nicht schreiben oder proben hätte können, müssen wir uns begeistert wundern, wie die Kamera sie so großartig einfangen konnte. Dank der intensiven Bildsprache sind wir nah am Jungen und mitten in der rasanten Geschichte, die trotzdem so locker wirkt und uns regelrecht mitreißt in die aufreibenden, aber auch humorvollen und berührenden Momente der Lebenswelt des Jungen. Pio Amato, den wir mit Koudous Seihon bereits aus MEDITERRANEA kennen, paßt wie die Faust aufs Auge zum zerrissenen und unausgegorenen Zustand des heranwachsenden Protagonisten. In seiner Aufgabe, für die Familie zu sorgen, als Bruder und Vater im Gefängnis sitzen, gerät er nach gelungenen Geldbeschaffungen durch illegale Deals ins Schlingern, und eine moralische Krise stellt seine Loyalität auf eine entscheidende Probe.
Und da gibt es noch eine zweite, geheimnisvolle Erzählebene. Der stille Mann mit seinem Pferd, den wir gleich zu Anfang des Films beobachten dürfen. Als Foto an der Küchenwand bleibt die Figur stumm, und so tragen wir die Erinnerung an ihn in uns und erfahren im Laufe des Films, daß auch Pio von ihm fasziniert scheint. In einer traumähnlichen Szene begegnet er den Beiden. Hier werden, wie bei WESTERN von Valeska Grisebach, Vorstellungen von Männlichkeit fein ausgespielt, wenn der Reiter das Pferd behutsam durch die lodernden Flammen einer Feuerstelle lenkt. Ist es der Großvater in jungen Jahren, der als agiler und weiser Mann ein Vorbild für Pio sein könnte, oder repräsentiert er eine Zuflucht in eine andere Welt, in der man seine Ehre nicht durch Kriminalität und Gewalt beweisen muß?
[ Katharina Wittmann ]