D 2017, 90 min
Verleih: Real Fiction
Genre: Dokumentation
Regie: Karin Jurschick
Kinostart: 08.02.18
Wenn man es mit Kenneth R. Feinberg zu tun bekommt, ist einem der größte anzunehmende Unfall wahrscheinlich schon passiert. Seit Jahrzehnten taucht der Name des US-Anwalts in Verbindung mit Katastrophen auf, die nur noch finanziell zu „regulieren“ sind. Sein Kerngeschäft heißt „Entschädigung.“ Und zwar dann, wenn Masse und Schwere der Einzelschicksale vom Verursacher nicht (oder nur ungern) aus der Portokasse bezahlt werden können. Der Posten des Chefunterhändlers für Ausgleichszahlungen an 9/11-Opfer gehört zu den prominentesten Mandaten dieser Art. Immer aber – ob bei den Verlierern der Finanzkrise oder den in BP-Öl ersoffenen Leben im und am Golf von Mexiko – ging es darum, den persönlichen Verlust in amtlichen US-Dollar zu taxieren. Doch wer ist dieser mittlerweile über 70jährige, der über Verantwortungswüsten kreist wie ein geflügelter Taschenrechner?
Die Dokumentaristin Karin Jurschick begegnet in ihrem Porträt, das ausdrücklich auch ein nach Marktgesetzen organisiertes „Tröstungssystem“ in den Blick nimmt, einem Typen, der sich der Typisierung entzieht. Einer Figur, die dem Woody-Allen-Universum entstiegen sein könnte. Mit dem martialischen Beinamen „Master Of Disaster“, der so gar nicht zu dem gesetzten Herrn mit Buchhalter-Appeal zu passen scheint. Mit Falten im Anzug, die seinen vermutlich horrenden Einkünften widersprechen, und Knittern in der Moral, die der Nichtjurist zum professionellen Selbstverständnis zu zählen neigt. Daß diese Knitter bereits in der Geld-gegen-Leben-Idee angelegt sind, gibt Jurschicks Film den nötigen Denkraum – und wird ihrem reflektierten Protagonisten gerecht. Gerechter, als es das System, dem sich Feinberg trotz Gespür für dessen geschmacklose Kontraste verpflichtet sieht, je sein könnte.
Sie folgt Feinberg, von seinen Auftraggebern mit gottgleichen Kompetenzen ausgestattet, in die US-Provinz – dorthin, wo sich die seit der Trump-Wahl mit lauter Fragezeichen versehenen „Abgehängten“ versammeln, und erwachsene Männer vor lauter Ohnmacht in Tränen ausbrechen. Sie folgt ihm in seine nächtliche Villa, in der die gelebten Kontraste Bild und Ton werden: Eine stummgeschaltete Schwarz-Weiß-Komödie, den Sound liefert Gustav Mahlers „Das Lied von der Erde“ vom Band, das Gewissen arbeitet sich ab an Kanzleialltag und Lebensleistung. Nein, Feinberg würfelt nicht. Er rechnet … gewissenhaft.
[ Sylvia Görke ]