1955 bot der Film THE FUTURE IS NOW einen Einblick in die amerikanischen Forschungslabore und zeigte den Menschen, welche technologischen Errungenschaften ihnen in den nächsten Jahren das Leben erleichtern würden. Damals ging es um Bildtelefone und Videorekorder. Heute, 50 Jahre später, ist das, was Jens Schanze in den Laboren rund um die Welt aufgespürt hat, weitaus erschreckender.
Da hat sich zum Beispiel der Japaner Hiroshi Ishiguro einen Roboter gebaut, der ihm zum Verwechseln ähnlich sieht, damit seine Kinder ihn nicht vermissen, wenn er auf Geschäftsreise ist. Und was 1987 in DIE REISE INS ICH noch Kinofiktion war, ist heute Realität: Computerchips auf Basis von Flüssigkeiten, die, auf Blutzellengröße geschrumpft, in unseren Körpern den Dienst einer Miniroboterpolizei tun. Noch erschreckender als die Entwicklungen der Computerbranche ist die Haltung ihrer geistigen Schöpfer, die sich in den erstaunlich offenen Interviews teils mit Gott vergleichen, sich aber nicht verantwortlich fühlen für die Folgen ihrer Arbeit.
Bis auf einen. Ein älterer Herr, der zu Beginn des Films ratlos vor seinem Laptop sitzt und versucht, die CD mit seiner Lieblingsarie zu starten. Joseph Weizenbaum ist im wahrsten Sinne das Herz dieses Films. Der Miterfinder des modernen Computers ist heute zum größten Kritiker seiner Kollegen und Schüler geworden. Er reist um die Welt und hält Vorträge, um dem blinden Fortschrittswahn entgegenzutreten, für die Humanität und die Menschlichkeit zu werben. Und es ist ergreifend, wie er dabei gegen sein eigenes Schuldempfinden kämpft, hat er doch mit dem ersten Spracherkennungsprogramm selbst die Grundlagen für die heutige Forschung geschaffen. Aber der Film ergreift nicht blind Partei. Er schafft einen Dialog zwischen beiden Seiten und läßt sie ihre Argumente vorbringen, die, man muß es zugeben, so geschickt verknüpft sind, daß man selbst auch immer wieder schwankt. Doch am Ende sind die Zukunftsvisionen der Forscher und die Zahlen, die der Film in atmosphärisch gelungenen Einblendungen offenbart, einfach zu bedrückend.
Und spätestens, wenn der icup, ein kindähnlicher, lernfähiger Roboter, allein in einem Seminarraum zurückgelassen, seine Arme hebt und senkt wie ein Prediger, der seine Jünger zusammenruft, erkennt man die Angst des alternden Professors – und die Fähigkeit des Regisseurs, diese in Bilder umzusetzen.
D 2010, 91 min
Verleih: Farbfilm
Genre: Dokumentation
Stab:
Regie: Jens Schanze
Drehbuch: Jens Schanze
Kinostart: 11.11.10
[ Marcel Ahrenholz ] Marcel mag Filme, die sich nicht blind an Regeln halten und mit Leidenschaft zum Medium hergestellt werden. Zu seinen großen Helden zählen deshalb vor allem Ingmar Bergman, Andrej Tarkowskij, Michelangelo Antonioni, Claude Sautet, Krzysztof Kieslowski, Alain Resnais. Aber auch Bela Tarr, Theo Angelopoulos, Darren Aronofsky, Francois Ozon, Jim Jarmusch, Christopher Nolan, Jonathan Glazer, Jane Campion, Gus van Sant und A.G. Innaritu. Und, er findet Chaplin genauso gut wie Keaton ...