1 Bewertung

Poliezei

Hände hoch! Augen auf! Herzen weit!

Polizeifilm? Kenn ich, kann ich, sagt sich der erfahrene Freizeitermittler. Und tatsächlich möchte man meinen, daß zwischen den durch Fernsehgroßstadtreviere spazierenden Kommissaren mit Onkelcharme, den ach so vielschichtigen TV-Nachtprogramm-Kriminalern, den guten und bösen Bullen der wechselnden Kinomoden kaum noch ein Grashalm stehengeblieben sei, an dem es sich zu weiden lohnte. Ausgerechnet in den diesbezüglich plattgefahrenen Straßen von Paris ist nun dieser Versuch angesiedelt, sich der Spezies „Polizist/in“ neu zu nähern – in einem vielfigurigen Gruppenporträt, das sich am kaskadenhaft und unkontrollierbar hereinbrechenden Großstadtalltag schärft, menschlich wie politisch.

Eine Einheit der Brigade de protection des mineurs, eine Sondertruppe für entlaufene, mißbrauchte, klauende Kinder und Jugendliche, diktiert den Herzschlag dieses Films. Er ist so kurzatmig wie der Alltag, so dramatisch wie ein Thriller, so verstreut wie ein Puzzle und so komisch-absurd, verstörend und versöhnend wie das Leben. „Bringen Sie sich auf den neuesten Stand!“, schleudert ein verstockter Teenager diesen Beamten ins Gesicht. Und das tun sie – in jeder gottverdammten Schicht: In der ihnen eine „Illegale“ ihren kleinen Sohn aufs Revier bringt, in der ihnen ein Mädchen erzählt, wem sie einen geblasen hat, um ihr Handy wiederzubekommen, in der sich ein Familienvater ganz selbstverständlich zu sexuellen Übergriffen auf seine Tochter bekennt, in der Beruf und Feierabend kaum noch voneinander zu scheiden sind.

Viel ist geschrieben worden über den semidokumentarischen Charakter dieses Films, über die verbürgten Geschichten, die abrupten Wechsel zwischen Wut, Resignation und befreiendem Gelächter. Und doch bleibt ein rätselhafter Rest an Wahrhaftigkeit, für den ein überzeugendes Ensemble und die rasante, aber doch mitvollziehbare Schnittpartitur allein noch keine Erklärung bieten. Wie eine Diebin hat sich die Regisseurin und Schauspielerin Maïwenn in ihren eigenen Film geschlichen, getarnt als Fotografin, die dieses Sondereinsatzkommando von seiner besten Seite ablichten soll – und sie doch alle in ihren verzweifeltsten, schwächsten, unbeherrschtesten Momenten erwischt.

Und wie eine Diebin hinterläßt sie widersprüchliche Spuren: ein wenig Soap-Opera, ein wenig Comédie Humaine. Manche nennen es Kinomagie, wie zum Beispiel die Jury in Cannes.

Originaltitel: POLISSE

F 2011, 127 min
FSK 16
Verleih: Wild Bunch

Genre: Drama

Darsteller: Karin Viard, Marina Foïs, Joey Starr, Frédéric Pierrot, Naidra Ayadi, Maïwenn Le Besco, Sandrine Kiberlain

Regie: Maïwenn Le Besco

Kinostart: 27.10.11

[ Sylvia Görke ]