Ein entlegenes Dorf in den Schirokko-Bergen Albaniens. Auf den ersten Blick scheint die Zeit hier stillzustehen. Ein Hirte treibt seine Ziegenherde vor sich her, so wie es vor ihm schon sein Vater und Großvater taten. Sein Name ist Anastas. Anastas’ bester Freund ist Arif. Er hat den gleichen archaischen Beruf wie Anastas, doch ist Arif nicht orthodox, sondern Moslem. In den Bergdörfern um Arifs und Anastas’ Heimat ist dies nichts Ungewöhnliches. Christen und Moslems leben friedlich zusammen, verbunden durch die jahrzehntelangen Leiden unter der kommunistischen Diktatur und die gemeinsame Tradition des mehrstimmigen Gesangs, mit dem die Hirten die Geschichten ihrer Ahnen forterzählen und damit einen Brauch am Leben halten, der immer mehr auszusterben droht.
Doch der erste Eindruck täuscht. Der Fortschritt macht auch vor den entlegensten Winkeln nicht halt. Eine Straße wird durch die Berge gebaut, die schneller in die Stadt führt. Die Jugend verläßt die Dörfer, statt dem Gesang der Alten lauscht sie lieber den Popsongs aus den Charts. Anastas’ Sohn lebt seit Jahren mit Frau und Kindern in Griechenland, wo er Arbeit finden konnte. Die neue Zeit will Anastas nicht gefallen. Früher war es hart, aber die alte Zeit brach ihm nicht das Herz, wie es die neue tut, sagt er. Und singt mit seinen Freunden gegen das Vergessen an. Der polyphone Gesang der Gebirgsdörfler ist 2005 sogar zum Weltkulturerbe der UNESCO erklärt worden. Die Gefahr seines Aussterbens scheint damit aber nur noch mehr bestätigt.
Zusammen mit dem Musikethnologen Eckehard Pistrick hat Dokumentarfilmer Björn Reinhardt einen Film über eine schwindende Gesangskunst gemacht, der die Lebendigkeit der Tradition festhält und ihr in den Bildern entspricht. Entgegen aller modernen Hektik spiegelt der Film die Melancholie und Schönheit dieses abgelegenen Weltwinkels mit entschleunigten Porträts und poetischen Alltagsbetrachtungen. Die mit der Materie vertrauten Macher treffen mit ihren ausgewählten Aufnahmen vom Leben der Dorfbewohner meist die richtigen Töne.
Das Voranschreiten der Zeit kann POLYPHONIA zwar dennoch nicht aufhalten, aber der Film schafft es, einen Moment zu konservieren, mit dessen Festhalten jetzt schon ein liebevoll gestaltetes Andenken an die vom Aussterben bedrohte Tradition gesichert ist.
Rumänien/D 2011, 97 min
Verleih: Eigenverleih
Genre: Dokumentation
Regie: Björn Reinhardt, Eckehard Pistrick
Kinostart: 19.01.12
[ Paul Salisbury ] Paul mag vor allem Filme, die von einem Genre ausgehen und bei etwas Neuem ankommen. Dabei steht er vor allem auf Gangsterfilme, Western, Satire und Thriller, gern aus der Hand von Billy Wilder, Sam Peckinpah, Steven Soderbergh, Jim Jarmusch, den Coen-Brüdern oder Paul Thomas Anderson. Zu Pauls All-Time-Favs gehören DIE GLORREICHEN SIEBEN, TAXI DRIVER, ASPHALT COWBOY, SUNSET BOULEVARD, POINT BLANK ...