Unmißverständlich verrät der Film gleich zu Beginn, für wen sein Herz schlägt. Die schwarz-weißen Archiv-Bilder zeugen vom Aufbau einer zerstörten Stadt, die emsigen Leute strömen hoffnungsvoll in die Fabriken, sie kaufen treu ihre geliebte Currywurst am Imbiß der Familie Frey, den Kaffe gibt’s im Alupott. Hier gleiten die Originalaufnahmen in liebevoll re-historisierte Bilder über, und der Film bleibt dabei – es sind die einfachen, die arbeitenden Menschen, um die es hier gehen soll. Die sich durchgeboxt und hochgekämpft haben und dabei immer in Duisburg geblieben sind. Wie die Freys eben – und von denen erzählt POMMES ESSEN in einer charmanten, zutiefst sympathischen und ansteckend kämpferischen Art, daß man wirklich versucht ist zu glauben, es ginge im Leben eben immer nur um die Wurst.
Frieda, die Tochter des alten Frey, führt die Imbißbude auch heute weiter, ihre drei Töchter helfen dabei, mit zweifelhaftem Erfolg. Die Fast-Food-Ketten haben die Leute abgezogen, das Einzige, worin die Frauenbande noch unschlagbar ist, ist ihre Currysoße. Das Geheimrezept vererbte der Vater an Frieda, Sohnemann Walter hatte das Nachsehen. Womit wir mitten im Konflikt sind, denn Walter, der es mittlerweile zum Pommes-König geschafft hat, will auf Biegen und Brechen an die Rezeptur, gerade jetzt, wo die Stadionversorgung neu ausgeschrieben wird. Frieda ist ein stolzer Mensch, gepaart mit einer gehörigen Portion Sturheit, da geht kein Weg rein. Als sie einen Schwächeanfall erleidet, kurz darauf zur Kur muß, Patty, die älteste ihrer Töchter, die Schule schmeißen will, um Starköchin zu werden, und als dann noch der Wettbewerb um die beste Wurst im Revier in die Gänge kommt, da sieht Walter seine Chance gekommen. Ein bißchen zu früh, möchte man meinen, wenn man das Gespann aus den beiden Schwestern Lilo und Selma und der herrlich burschikosen Schrotthändlerin Besjana (eine herrlich spielfreudige Thekla Carola Wied) als Gegnerinnen hat ...
POMMES ESSEN ist eine Wohltat im deutschen Kino, ein kleiner, feiner Film, der gewissermaßen bei seinen Leisten bleibt. Hier gibt es keine plötzlichen Superkräfte, kein spagatartiges Drehbuchkonstrukt, der Kampf zwischen Groß und Klein wird ausgefochten, wie er unter einfachen Menschen ausgefochten wird: Faust auf Faust, Zahn um Zahn, Arroganz und Klüngelei gegen Charakter und Gerissenheit. So einfach! Und so vielschichtig, denn durch Patty wird auch vom Traum auf ein ganz anderes, ein wilderes, ein exotischeres Leben erzählt. An ihrem Wesen entflicht sich eine wunderbare und durchaus berührende Geschichte vom Zusammenhalt der Familie, der Selbstverwirklichung und darüber, wie wichtig es ist, gerade in Zeiten der Herausforderungen, an Träumen festzuhalten, und dennoch an bewährten Traditionen nicht zu zweifeln.
POMMES ESSEN ist auch eine geerdete Heldinnengeschichte, die dem Geschäftsgemauschel einer mittelgroßen Stadt frech den Finger zeigt, die schwesterliche Zickereien überwinden läßt, und die mit eingeschnittenen Animationssequenzen begeistert. Filmgeschichtlich ist man hinterher sowieso klüger, weil man zwar bereits wußte, daß Barbara Sukowa einst die Currywurst erfand, nun aber erst schließt sich der Kreis: Weil es eben auf die Soße ankommt.
D 2011, 85 min
FSK 0
Verleih: Farbfilm
Genre: Tragikomödie, Poesie
Darsteller: Luise Risch, Marlene Risch, Thekla Carola Wied, Anneke Kim Sarnau
Regie: Tina von Traben
Kinostart: 12.07.12
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.