Originaltitel: POOR THINGS
GB/Irland/USA 2023, 142 min
FSK 16
Verleih: Disney
Genre: Drama, Fantasy, Mystery
Darsteller: Emma Stone, Mark Ruffalo, Willem Dafoe
Regie: Yorgos Lanthimos
Kinostart: 18.01.24
Emma Stone gibt in POOR THINGS ihre bisherige Paraderolle. Ihr Spiel bedient sich eines radikalen Resets: Motorik muß sie neu erlernen, Bewegungen gelten ihr als Fragmente, die noch kein schlüssiges Ganzes ergeben wollen. Gesten werden ihrer Bedeutung beraubt und neu arrangiert. Das Kind im Erwachsenenkörper stapft grobschlächtig durch die Welt, lotet das Unkontrollierbare aus. Triebe kennen noch keine Tabus. Bella Baxter, so heißt Stones Figur, fügt sich konsequent in den Filmkosmos von Yorgos Lanthimos ein.
Das Groteske und Dissonante prägen seit jeher das Schaffen des Regisseurs, um Normen und die menschliche Natur zu verfremden. Wenn Bella ihren Körper erforscht, aus Jux auf Leichen einsticht und nebenan Tiere mit vertauschten Köpfen vorbeihuschen, taugt dieses Kuriositätenkabinett zu Irrwitz und Verstörung. Lanthimos’ phantasievolle Romanadaption nutzt solche Effekte, um von der Emanzipation einer Frau zu erzählen, die die Gewalt der Männerwelt zu sehen lernt. Gekonnt wird dabei das Abstrakte tradierter Ideologie, die Weiblichkeit nach ihrer Phantasie formt und zu kontrollieren versucht, in brutale Bilder übersetzt: Bella ist eine wiedererweckte Selbstmörderin, der das Hirn ihres Babys implantiert wurde – das Testobjekt eines Gottspielers, den Willem Dafoe als Blasen rülpsender Dr. Frankenstein verkörpert.
Nun haben sich Lanthimos’ Filme über die Jahre, je populärer sie wurden, durchaus verändert. Sein nüchterner Stil von einst ist in technischem Exzeß explodiert, der hier zwischen Schwarz-Weiß, grellbunt, Verzerrungen, praktischen Effekten und surrealer Digitalität changiert. Zugleich läßt POOR THINGS wenig Raum für Anregendes, das abseits seiner ausbuchstabierten Thesen entstehen könnte. Das Vieldeutige, mit dem Lanthimos durch frühere Versuchsanordnungen bekannt wurde, hat sich in zeitgeistiges Botschaftskino verwandelt. Es tanzt jedoch ästhetisch und in seiner Drastik immer noch wunderbar eigensinnig aus der Reihe.
Wahrscheinlich wäre Bellas Odyssee durch das Elend der Welt, in die Prostitution hin zur Subjektwerdung und bissigen Utopie, international aber nicht so jubelnd aufgenommen worden, würde sich ihr obszönes, ungreifbares Verhalten nicht fortwährend dem vermeintlich Normalen annähern. Würde nicht das Unsichere, spielerisch Schwebende den schmissigen Punchlines weichen.
[ Janick Nolting ]