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Pre-Crime

Vorsprung durch Technik – und was auf der Strecke bleibt

Jules Verne beschrieb ja Reisen zum Mond, lange bevor man zum Mond reiste. Auch das, da ist der Mensch ganz Mensch, ist also nichts gewesen, was der Mensch sich nicht hätte träumen lassen. Und im großen Ganzen gesehen ist diese Mondgeschichte ja sogar nur ein bescheiden freundliches Beispiel für die Wirkkraft des Utopischen, menschlicher Sehnsuchtsträume.

Eine andere, wenn auch weniger bescheiden freundliche Utopie dieser Art, eine, die vornehmlich durch die Träume des guten, alten Leviathan namens Staat geistert, ist die einer Welt ohne Kriminalität, einer Gesellschaft im Zustand optimaler Sicherheit. Und wie die Reise zum Mond ist die Erfüllung dieses Traumes, die Wirklichkeitswerdung dieser Utopie, in unserer technikgläubigen Kultur vor allem ein technisches Problem. Wie weit dessen Lösung schon vorangeschritten ist, zeigen jetzt Matthias Heede und Monika Hielscher in ihrem Dokumentarfilm PRE-CRIME. Es ist die Realität einer Welt, die im Hollywoodkinostück MINORITY REPORT schon mal durchgespielt wurde. Es geht um Software, die Verbrechen voraussagt. Polizisten, die am Tatort sind, bevor es ein Tatort ist. Algorithmen, die „Gefährder“ erkennen, bevor sie zur Gefahr werden. PRE-CRIME gibt sich formal-visuell dabei erst einmal geradezu wie vernarrt in den Gegenstand, den er zugleich kritisch betrachtet. Es hat etwas von einer schon goldigen Technik-Lüsternheit, wenn da wieder und wieder mit digitalen Überwachungskameraeffekten gespielt, das allessehende Auge über den Metropolen beim Scannen, Checken und Vermessen des Bürgers in Thriller-Manier beschworen wird. Im Kontrast dazu: Dokumentarfilmer Heedes beim Sinnieren am tosenden Meer.

Soll wahrscheinlich irgendwas von wegen „von wo das Leben kam, wo es hinführt“ erzählen. Nun, ganz so platt ist das gar nicht. Vorsprung durch Technik – und was auf der Strecke bleibt: PRE-CRIME zeigt die schöne neue Welt, in der die Utopie „Sicherheit“ die Schminke für den Überwachungsstaat liefert. Das ist weit weniger paranoid, als es klingt. Wie man hier lernen kann. Nicht durch illustrativen Schnickschnack, sondern ob der Aussagen derer, die an der Pre-Crime-Technologie unmittelbar partizipieren. Überwacher und Überwachte nämlich, die Zeugnis ablegen davon, wie das eigentlich funktioniert mit dem Algorithmus, der uns Sicherheit verspricht. Und welchen Preis eine Gesellschaft, die sich als „frei“ apostrophiert, dafür bezahlt.

D 2017, 88 min
FSK 6
Verleih: Rise And Shine Cinema

Genre: Dokumentation

Regie: Matthias Heede, Monika Hielscher

Kinostart: 12.10.17

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.