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Princesas

Zwischen Sehnsucht und sozialer Realität – ein zutiefst berührendes Nicht-Märchen

Fernando León de Aranoa tut es wieder. Der Regisseur mit dem riesigen Herzen für kleine Leute erhebt nach seinem Wunderwerk MONTAGS IN DER SONNE erneut Menschen zu Protagonisten, für die sich im Kino fernab plüschigen Kitsches und billiger Klischees kaum jemand interessiert. Entsprechend sitzt Caye, eine Madrider Prostituierte, nicht im Rotlicht verrauchter Bars, sondern jeden Sonntag am Mittagstisch bei Mama. In Abwehrhaltung allerdings, denn Caye verlangt vom Leben bloß noch eines: nicht so einsam zu enden wie ihre Mutter. Als Hure jobbt sie aus finanzieller Not und "nur vorübergehend" – der Selbstbetrug spricht Bände. Leidensgenossin Zulema dagegen möchte mit dem angeschafften Geld ihre Familie unterstützen. Als sich die beiden ungleichen Frauen anfreunden, bröckeln Fassaden, treten verdrängte Sehnsüchte ans Licht. Sie werden sich gegen jedes Konkurrenzdenken verbünden und als Prinzessinnen der Straße nach ihrem verlorenen Königreich suchen.

León de Aranoa erzählt dabei keine stringente Story, sondern von winzigen Freuden inmitten großer Tragödien, von Traurigkeit auf Kaution und dem Streben nach diesem einen Tag, an dem alles gelingt, der eine Art Umleitung ist, hin zur neuen Existenz. Wer sie verpaßt, bleibt auf ewig im Mikrokosmos der Straße gefangen. So wie "Miss Methadon": Der einst wunderschöne Star des Viertels klappert nun ausgemergelt die Läden nach einer Toilette ab und wird überall brüskiert. Irgendwann, man ist längst ein integrierter Teil des Geschehens statt unbeteiligter Beobachter, fallen schließlich diese Sätze: "Man sagt, Prinzessinnen haben kein Gleichgewicht. Man sagt, daß sie sogar sterben können vor Traurigkeit." Trotzdem bewahren sie sich selbst im Angesicht brutaler Freier, Abschiebungsgefahr oder ungewisse Ergebnisse bringender HIV-Tests stets ihre Würde, weil es eben nur so weitergeht, wenn der Schmerz die Überhand zu gewinnen droht.

Mit Dialogzeilen wie den obigen dringen Darstellerinnen und Regisseur zwar direkt zum Kern ihrer Geschichte vor. Dennoch bleibt es ein stummer Moment, welcher am tiefsten anrührt: Cayes finaler Blick, gleichzeitig Studie in mimischer Brillanz sowie Abbild einer zerrissenen Seele, brennt sich unvergeßlich in die Leinwand ein. Fast hat man da ein schlechtes Gewissen, zwischendurch häufig zu schmunzeln, manchmal gar zu lachen. Doch das wäre falsche Scham, denn León de Aranoa weiß, daß man auch auf diesem Wege der Misere die Zähne zeigen kann, eigentlich sogar muß. Folgerichtig ist sein Humor ebenso still wie menschlich. Etwa dann, wenn Cayes Verehrer, ein Programmierer, ihr beim Candlelight Dinner das neueste Office-Update schenkt, dabei aber dermaßen stolz aussieht, als hätte er gerade drei Dutzend rote Rosen aus dem Ärmel gezaubert ...

Nahezu zwangsläufig wurden aus dem Feuilleton schon früh Stimmen laut, welche PRINCESAS gern im künstlerischen Dunstkreis von Pedro Almodóvar oder Ken Loach plazieren wollten. Die daraus resultierende Zugkraft sei diesem rohen Kleinod zwar ohne Frage gegönnt; gleichwohl sind – bei allem Respekt gegenüber den genannten Meistern ihrer Zunft – derlei Vergleiche unsinnig. León de Aranoa hat sie nämlich einfach nicht nötig.

Originaltitel: PRINCESAS

Spanien 2006, 113 min
Verleih: Piffl

Genre: Drama

Darsteller: Candela Peña, Micaela Nevárez, Mariana Cordero, Llum Barrera, Violeta Pérez

Stab:
Regie: Fernando León de Aranoa
Drehbuch: Fernando León de Aranoa

Kinostart: 04.01.07

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...