Wo gehen Künstler nach Beendigung ihrer Karriere hin? In die Einsamkeit? Wahrscheinlich häufig. Einfach zur Familie? Möglich. Endlos auf „Abschiedstournee“, die letzte? Durchaus, wir nennen keine Namen. Nun, hier jedenfalls gibt’s eine Residenz für frühere Opernsänger. Leider ist das Haus aber durch Schließung bedroht, eine Gala soll vergangene Talente erstrahlen lassen, Einnahmen generieren. Regisseur Cedric dreht bereits stilecht am Rad, die Solisten sehen’s eher gelassen: Schwerenöter Wilf flirtet alles an, was entfernt weiblich wirkt. Cissys Paradefach hingegen waren wohl jugendliche Naive, scheint sie, herzensgut und knuddelsüß, doch niemals die hellste Kerze im Leuchter gewesen zu sein. Und Reg glaubt seine Aufgabe darin, Jugendliche der Oper anzunähern.
Hinein in das trotz Problemen gediegene Zusammensein platzt Jean, legendäre Ex-Kollegin. Unvergessen Jeans triumphale Gilda! Immer zwölf Vorhänge, mindestens! Der Typ Primadonna aus dem Bilderbuch – hier eine über mordendem Blick hochgezogene Augenbraue, dort ein angewidert gekräuselter Mundwinkel, und spontan sinkt das Ego des subtil verachteten Opfers unter die Nachweisgrenze. Eine Traumrolle, Maggie Smith auf den Leib geschneidert, bekanntlich mimt ja niemand besser snobistische Zicken. Abgesehen davon ein mieses Ekel. Oder nicht? Nein, denn Jean leidet tief drinnen, ein Fehler vergiftet ihre Seele und die Regs ebenfalls. Wie will das spannungsreiche Gespann jetzt zusammenfinden, um das Quartett aus „Rigoletto“ aufzuführen?!
Selbst ohne hellsichtige Neigung vorab eine Prophezeiung: Klar werden einige Kritiker aasgeierverwandt darüber kreisen, daß – der Form halber sei’s erwähnt – Dustin Hoffmans Regiedebüt Konflikte entweder bloß kurz anreißt oder magisch zügig löst. Aber warum denn nicht?! Dankbarkeit müßte ihm widerfahren, das Alter vom Tunnelblick auf Gebrechen, dem bleiernen Dunst omnipräsenten Haderns und Wartens auf den Tod zu lösen, ihm zweite oder dritte Chancen zu schenken, Leidenschaft und Wiedergutmachung, gebettet in höchste Schauspielwonnen sowie funkelnd geschliffene Dialoge. Dazu das verblüffte Staunen, nirgends die Theatervorlage statuesk ums Eck grinsen zu sehen; allerorten atmet wahres Kino.
Und sofort entwarnend hinterher – es braucht kein Interesse an der Oper, dieses Juwel zu genießen, obgleich das Stimmenerkennen (Cotrubas, Sutherland) den Singspielfreund fordern mag, mancher interne Gag noch mehr zündet, unter anderem die genial komische Spitze gegen Mirella Freni, oder der kleine Auftritt Dame Gwyneth Jones’ erst wahre Größe entfaltet, neben dem Mut zum gewöhnungsbedürftig interpretierten „Vissi d’arte“ primär angesichts der Tiefenentspanntheit, mittels derer sie sich von Smiths Figur dissen läßt.
Alles das bildet indes bloß Beiwerk in einem Film, welcher die trotz genereller Liebe oft als tamtamartig-artifiziell empfundene Oper ausschließlich tragend verwendet, um Geschichten über echte Menschen zu erzählen. Unaufgeregt und derart leise, daß man sie überhören könnte. Ein Risiko, das ausschließlich den wirklich nachhallenden Dingen anhaftet. Möchte letztlich sagen: Falls sich der eigene Lebensabend nur halb so gelassen, würdevoll und wunderbar entspinnt wie dieser in Musik gegossene cineastische Endorphinausstoß, darf er ruhig kommen ...
Originaltitel: QUARTET
GB 2012, 98 min
FSK 0
Verleih: DCM
Genre: Tragikomödie, Poesie, Musik
Darsteller: Maggie Smith, Billy Connolly, Pauline Collins, Tom Courtenay, Michael Gambon
Regie: Dustin Hoffman
Kinostart: 24.01.13
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...