D 2016, 90 min
FSK 0
Verleih: Salzgeber
Genre: Dokumentation, Biographie
Regie: Britta Wauer
Kinostart: 14.04.16
Manche Menschen ziehen alle Aufmerksamkeit auf sich, wenn sie den Raum betreten. Andere erleuchten ganz nebenbei ihre Umgebung, zaubern dabei aber allen Anwesenden ein Lächeln aufs Gesicht. William Wolff gehört eindeutig zur zweiten Kategorie. Der zierliche Mann mit dem schlohweißen Haar fällt auf den ersten Blick nur durch seinen leicht gebeugten Gang auf, entpuppt sich aber bald als Protagonist wie aus dem Bilderbuch: klug, ausgesprochen charmant und seinem Gegenüber immer zugewandt. Die Dokumentarfilmerin Britta Wauer lernte den deutsch-britischen Rabbiner bei den Dreharbeiten zu ihrem Film IM HIMMEL, UNTER DER ERDE über den jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee kennen und wußte bald, daß dieser außergewöhnliche Mensch einen eigenen Film verdient.
Ungeachtet seines Alters („Ich habe bei 85 aufgehört zu zählen“) und der Tatsache, daß er bis heute in einem kleinen Haus der Nähe von London lebt, arbeitet Wolff als Landesrabbiner von Mecklenburg-Vorpommern. Ohne mit der Wimper zu zucken pendelt er – beladen mit Tüten voller Zeitungen – wöchentlich zwischen London, Rostock und Schwerin. Seine Gemeinden bestehen zu 99% aus zugewanderten Russen und Ukrainern, viele von ihnen stehen dem liberalen Rabbi eher skeptisch gegenüber. Doch Wolff läßt sich davon nicht beirren: Ohne zu zögern beginnt er, Russisch zu lernen und in der Muttersprache seiner Gemeindemitglieder zu predigen. Man verstehe sich halt einfach besser, wenn man dieselbe Sprache spreche, erklärt er ganz schlicht.
Diese uneingeschränkt positive Herangehensweise ist so beeindruckend, daß man sich schlagartig für all die Momente schämt, in denen man selbst einfache Vorschläge mit „Es geht einfach nicht“ abgelehnt hat. William Wolff lebt hingegen nach dem Motto: „Geht nicht, gibt’s nicht“ und ist absolut überzeugt davon, daß alles im Leben Spaß machen solle. Sobald das nicht mehr der Fall ist, ist es eben Zeit für eine Veränderung! Genauso konsequent entschied er sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere als politischer Journalist dafür, alles stehen und liegen zu lassen und Rabbi zu werden. Und wer ihn heute erlebt, zweifelt nicht daran, daß das eine gute Idee war.
Britta Wauer porträtiert William Wolff als weisen, aber leisen Optimisten, dessen Lebensfreude so ansteckend ist, daß es wirklich schwerfällt, das Kino nicht mit einem Leuchten in den Augen zu verlassen. Dabei geht der Film eher minimalistisch zu Werke und konzentriert sich darauf, den britischen Gentleman zu begleiten, ohne ihm zu nahezutreten. So erleben wir William Wolff beim morgendlichen Yoga („Kopfstand kann ich noch nicht, das übe ich noch …“) oder beim Pferderennen in Ascot, stilsicher im grauen Frack mit Zylinder. Zum Glück läßt sich die Regisseurin nicht von der strahlenden Seite ihres Gegenübers blenden und behält auch die Grautöne im Blick. So ist Wolff, der nie heiratete und keine Kinder hat, manchmal spürbar allein. Doch statt diese Tatsache zu überspielen oder zu negieren, zeigt der Film, wie er die Einsamkeit in Schach hält, indem er einen großen Freundeskreis pflegt und immer offen für neue Begegnungen ist.
Diesen schönen, schlichten Film über einen beeindruckenden Mann, der dennoch in keiner Weise einschüchternd wirkt, kann man wirklich nur empfehlen. William Wolffs Humor, sein Wissen und seine Freude am Leben produzieren ein Leuchten, das jeder einfach aus dem Kino mit nach Hause nehmen kann.
[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.