Originaltitel: GRAVE

F/Belgien/I 2016, 98 min
FSK 16
Verleih: Universal

Genre: Thriller, Psycho, Erwachsenwerden

Darsteller: Garance Marillier, Ella Rumpf, Rabah Naït Oufella

Regie: Julia Ducournau

Kinostart: 01.02.18

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Raw

Vegetarierin entdeckt die fleischliche Lust

Als jungfräuliche Horrorfilmrezipientin hatte ich mich auf das Schlimmste vorbereitet. Denn Meldungen, daß Julia Ducournaus filmischer Ausflug in den Kannibalismus Ohnmachtsanfälle unter Filmfestivalbesuchern ausgelöst hätte und Kinos fürsorglich Papiertüten plazieren würden, um im Falle von auftretenden „Turbulenzen“ während des Filmgenusses gerüstet zu sein, wirkten durchaus respekteinflößend. Aber es kann Entwarnung gegeben werden.

Ducournaus Debüt spielt zwar durchaus mit viel Blut und Fleisch, ihre Figuren bleiben aber von psychologischer Seite her gesehen eher anämisch, so daß sich das Mitleiden in Grenzen hält, wenn ein Opfer Lebenssaft verliert. Die Handlung kreist um die 16jährige Justine, welche in einem Haushalt militanter Vegetarier aufgewachsen ist. Ihre Schwester Alexia ist das schwarze Schaf der Famile, während sie durch rehäugige Strebsamkeit glänzt. Seit Generationen besuchen alle Familienmitglieder dieselbe Universität, um dort Tiermedizin zu studieren. Justine wird hier nicht nur mit ihrer taffen Schwester wiedervereint, sie muß sich den martialisch anmutenden Initiationsritualen der Fakultätsälteren aussetzen, die eine große Freude darin finden, die „Frischlinge“ zu demütigen. Diese orgienhaften Exzesse inszeniert die Filmemacherin im Stil hipper Musikvideos – jede Menge nackte Haut, Körpersäfte, beiläufiger Streetstyle, Stroboskopgewitter. Es wird gekifft, gevögelt, Pornos geguckt und sich über SM unterhalten. In jeder Szene scheint es die Regie darauf anzulegen, ein Tabu zu präsentieren, das schon lange keins mehr ist. Oder will sie damit die Abstumpfung einer Generation thematisieren, die aufgrund ihres Eigenblutdopings zu einer Horde Narzißten herangewachsen ist? 

Den interessanten Moment dieses möchtegernwahnsinnigen Gruppenexperiments erzählt sie aber nicht aus, genauso, wie sie die tieferliegenden Reibungsmomente der schwesterlichen Beziehung ausspart. Stattdessen entwickelt sich Justine von jetzt auf gleich von der unscheinbaren Klassenbesten zur wild mit den Hüften schwingenden „Bitch“, sobald sie einmal Blut geleckt hat. Das Tier in ihr ist erwacht. Vor allem ihr schwuler Zimmermitbewohner weckt in ihr dunkle Gelüste, und ihre Schwester entpuppt sich zumindest hier als Seelenverwandte. Und so torkeln die beiden wie in Trance von einem ekligen Moment zum nächsten und auf eine ziemlich simple Pointe zu.

[ Susanne Kim ] Susanne mag Filme, in denen nicht viel passiert, man aber trotzdem durch Beobachten alles erfahren kann. Zum Beispiel GREY GARDENS von den Maysles-Brüdern: Mutter Edith und Tochter Edie leben in einem zugewucherten Haus auf Long Island, dazu unzählige Katzen und ein jugendlicher Hausfreund. Edies exzentrische Performances werden Susanne als Bild immer im Kopf bleiben ...