So sieht ein richtiges Roadmovie aus: Voll Wind, Sonne, Licht und Erde. Mit Bildern, die diese Lust am Unterwegssein atmen und getränkt mit diesem Bewußtsein, daß der Weg das Ziel ist.
Natürlich sind in Pascal-Alex Vincents wunderbarem Regiedebüt REICH MIR DEINE HAND die zwei Helden, die 18jährigen Zwillinge Antoine und Quentin, nicht einfach nur so auf Frankreichs Straßen unterwegs. Sie wollen nach Spanien, zur Beerdigung ihrer Mutter, die sie nicht kannten, und die Zeit ihres Lebens eine schmerzende Leerstelle bei den Brüdern ist. Und so ist diese Reise, wie jede wirkliche, auch eine Seelenreise. Eine Suche nach Wahrheiten, nach Wurzeln und nach einer Ahnung davon, was das Leben sein könnte.
Dabei passiert in REICH MIR DEINE HAND erst einmal gar nicht so viel. Antoine und Quentin sind eben unterwegs. Per Anhalter, mit dem Zug, zu Fuß. Streitend, sich versöhnend. Lachend und sich erschöpft in den Armen liegend. Doch was sich da alsbald kontinuierlich zuspitzend abzeichnet, ist der Prozeß einer Häutung. Das voneinander Loslösen von Zweien, die trotz aller Gegensätzlichkeit eng miteinander verknüpft sind in einer geschwisterlichen Haßliebe, die nicht zuletzt ihr extremes miteinander Vertrautsein am Brennen hält. Einer dabei dem anderen häufiger Spiegel, als es gut sein kann auf die Dauer. So wird diese Reise für Antoine und Quentin zu einer schmerzhaften, gleichwohl notwendigen Emanzipation voneinander und damit zum endgültigen Abschied von der Kindheit.
Wie das nun wiederum in REICH MIR DEINE HAND gezeigt wird, ist vom labernden Problemfilm so weit entfernt wie nur irgendwas. Kein Wort zu viel, das hier gesprochen wird. Die Vielzahl an beredten Gesten, treffenden kleinen Szenen, die Vincent in seine Geschichte flicht, ist famos. Ja, so sieht das aus, wenn einer in Bildern erzählen kann. Kunstvoll, ohne komponiert zu wirken, reihen sich da die Stationen dieser Reise wie hingeworfene Impressionen wechselnder Stimmungen. Orte, Landschaften, Menschen werden gestreift.
Und intensiviert sich da auch zunehmend die Emotionalität, bis hin zum dramatischen Vibrieren von Liebe, Verrat, Desillusionierung und dem Schöpfen neuer Kraft und Hoffnung, wandelt Vincents Film auch weiterhin in gekonnter Balance zwischen Nähe und Distanz zum Geschehen. Da mag man nur noch staunen: Von so angenehmer Kühle, kann ein so intimer Film sein. So klug, so sinnlich. So wahrhaftig.
Originaltitel: DONNE-MOI LA MAIN
D/F 2008, 77 min
FSK 12
Verleih: Salzgeber
Genre: Erwachsenwerden, Drama, Roadmovie
Darsteller: Alexandre Carril, Victor Carril, Anaïs Demoustier, Samir Harrag, Katrin Saß
Regie: Pascal-Alex Vincent
Kinostart: 30.04.09
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.