Der Titel ist ein wenig um die Ecke gedacht. Die Geschichte spielt nämlich in Bulgarien zur Zeit des zweiten Weltkriegs. Zwar sind zwei niedlich-pausbäckige jüdisch-deutsche Kinder auf der Flucht nach Palästina, doch der Film berichtet nur von einer Station auf dem Weg dorthin. Verloren in Sofia geraten die zwei in die Obhut einer fahrenden Kleinkünstlergruppe, bestehend aus dem temperamentvollen und zur Eifersucht neigenden Magier Dimi, seiner Geliebten, der betörenden Sängerin Zara, und dem tolpatschigen, dafür umso liebenswerteren Sami - Assistent, Kofferträger, Diener zweier Herren und überhaupt Mädchen für alles.
Zara kümmert sich um die Kinder, was zu Spannungen zwischen ihr und Dimi führt. Der hat zwar das Herz auf dem rechten Fleck, weiß aber von Zaras bürgerlichen Sehnsüchten, die er ihr niemals erfüllen kann. Und dann ist da noch ein kaltblütiger Nazi namens Straub, der die Kinderchen einsacken soll, und der ein Auge auf Zara geworfen hat.
Figurenkonstellation und Thema, eine Verbindung aus Liebelei und Politik, in der sich Mut, Selbsttreue und Hilfsbereitschaft bewähren müssen, erinnern an andere Filme, die zur NS-Zeit in Osteuropa spielen, sei es GLOOMY SUNDAY - EIN LIED VON LIEBE UND TOD (Ungarn) oder WIR MÜSSEN ZUSAMMENHALTEN (Tschechien). Im Mittelpunkt steht meistens eine starke Frau, und so ist auch hier Zara die eigentliche Hauptfigur, die alle Fäden zusammenhält.
Die Geschichte ist also bereits erzählt worden. Was soll’s. Es kommt darauf an, was man daraus macht, und in REISE NACH JERUSALEM wird daraus eine ganz eigene und durchaus sympathische Stilmischung, in der mitunter auch Anleihen an Kusturica aufblitzen, eine Comedia dell«Arte nach balkanesker Art.
Ein paar Holperschwellen zum Auftakt, dann kommt die Reise in Fahrt. Man vergißt das Angestrengte dieser Melange, entdeckt sich die warmherzige bulgarische Gastfreundschaft und stellt fest, daß die Figuren des Filmes weit weniger eindimensional gestrickt sind, als es anfangs schien.
D/Bulgarien 2002, 112 min
Verleih: Pegasos
Genre: Drama
Darsteller: Bernd Michael Lade, Georgi Georgiev, Simona Stoikova
Regie: Ivan Nichev
Kinostart: 14.04.05
[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...