Im Jahr 1939 begeben sich die Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach und die Ethnologin Ella Maillart mit dem Auto auf eine Reise. Ihr Ziel ist das Tal Kafiristan, nördlich von Kabul gelegen, terra incognito, Land der Ungläubigen und Heimat eines archaischen Nomadenvolkes, welches Maillart erforschen will, um ihre Karriere mit einer Publikation voranzutreiben. Annemarie Schwarzenbach dagegen sucht im Vorderen Orient einen Fluchtpunkt zur Selbstfindung und Heilung von ihrer Morphium-Abhängigkeit.
Der gemeinsame Weg der beiden Frauen, von Genf aus über den Balkan, durch die Türkei und Persien führend, endet in Kabul. Der Krieg ist ausgebrochen - Kafiristan unerreichbar ...
Mit ihrem neuen Film haben die Brüder Fosco und Donatello Dubini (THOMAS PYNCHON - A JOURNEY INTO THE MIND OF P.) diesmal gleich zwei starke Persönlichkeiten ins Visier genommen, und anfänglich erscheint es schwierig, ihrem Blick zu folgen. Das mag vor allem daran liegen, daß dieser Blick über lange Strecken geteilt bleiben muß. Annemarie Schwarzenbach und Ella Maillart sind zunächst nur getrennt wahrnehmbar. Die Einsamkeit und Größe beider Frauen findet ihren Ausdruck in spärlichen, spröden Dialogen, und in der Weite der Landschaft scheinen sie sich die Figuren fast zu verlieren. Die Enge des Autos erst, in der sie Tag für Tag verbringen, macht ein Erkennen des Gemeinsamen möglich. Das Auto steht für die Illusion eines sicheren Rückzugs, funktioniert als Vehikel zur Flucht Beider vor der Armut des Lebens.
Die REISE NACH KAFIRISTAN ist, obwohl anfangs als solcher geplant, kein Dokumentarfilm und keine Verfilmung der Biographien beider Frauen. Eingestreute Szenen aus anderen Reisen der Autorinnen weisen darauf hin. Die politische Situation 1939 in Europa und dem Orient fungiert als Hintergrund für einen Spielfilm, der von Erfahrungen in der Fremde und mit sich selbst, von Freundschaft und Beziehungen erzählt.
Die Dubinis haben mit beobachtender Inszenierung und unaufdringlichen Bildmetaphern zu poetischem Kino gefunden, daß gleichsam Interesse an den Büchern der Autorinnen zu wecken oder neu zu entflammen vermag.
D/CH/NL 2001, 100 min
Verleih: Real Fiction
Genre: Roadmovie, Poesie, Biographie
Darsteller: Jeanette Hain, Nina Petri
Regie: Fosco Dubini, Donatello Dubini
Kinostart: 19.12.02
[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.