Originaltitel: ROCKETMAN

GB 2019, 121 min
FSK 12
Verleih: Paramount

Genre: Biographie, Musical, Drama

Darsteller: Taron Egerton, Jamie Bell, Bryce Dallas Howard, Richard Madden

Regie: Dexter Fletcher

Kinostart: 30.05.19

13 Bewertungen

Rocketman

Paradiesvogel mit lahmen Flügeln

Er ist schon relativ früh zu hören, dieser Satz, an dem man sich zukünftig wiederkehrend abarbeiten, den man drehen und wenden wird, um ihn irgendwann, einigermaßen klammen Herzens, als ironiefrei zu erkennen: „Mir riecht das eher nach Selbstbeweihräucherung.“ Wobei das andererseits nicht ganz stimmt, weil jenes Biopic geradezu die Sehnsucht nach dem persönlichen Tief veratmet, übermächtigen Hang zum Verharren in gebeugter Opferpose zeigt. Das hat viel Aufmerksamkeitsheischendes, gespreizt Divöses – paßt ergo millimetergenau zu Elton John. Großartiger Barde ja, zickige Matrone ebenso.

Der Meister nahm vorab klare Worte in den musikalisch befähigten Mund: „Der Film mußte so ehrlich wie möglich sein. Ich bin hoch geflogen, aber auch sehr tief gefallen. So sollte der Film auch sein.“ Allerdings vertragen sich Showbusiness und Ehrlichkeit per se recht selten, was solchen Anpreisungen in Vorsicht lauschen läßt. Keine Vorbereitung gab's indes fürs Rupfen eines schillernden Pfaus zur biederen Krähe: Jedwede Extravaganz gebührt den nachgeschneidert schrillen Kostümen, die Erzählung weiß nur altbekannte oder banale Mittel aufzufahren.

So platzt Sir Elton beginnend also in eine Therapiesitzung, zerrt dort sogleich das einstig vernachlässigte Kind Reginald Kenneth Dwight (zumindest Oma protegiert den dicken bebrillten Buben) ans Erinnerungslicht, handelt versagende Eltern ab und schmettert ein paar Songs. Das erledigt, ergattert der nunmehr erwachsene Superstar in spe den ersten Job, es folgt der erste schwule Kuß, Reginald alias Elton steigt rasant auf und bringt neuerlich Lieder zu Gehör. Nix gegen sie zu sagen, „Your Song“ funktioniert unverändert perfekt, „Don't Go Breaking My Heart“ – natürlich ein klassischer Ohrwurm, Taron „Elton“ Egerton performt grandios, oft allein auf ziemlich weiter Flur, BOHEMIAN RHAPSODY-Co-Regisseur Dexter Fletcher fällt wenig ein außer Konvention.

Baz Luhrmanns MOULIN ROUGE oder Rob Marshalls CHICAGO haben brillant vorexerziert, wie Musical das lustvoll aufgedrehte Artifizielle, die schamlose Maßlosigkeit zur Kunst erhebt, um exakt dadurch emotionales Gewicht anzuhäufen. Fletcher verhandelt hingegen Standards, zackiges Tanzen, bissel Rumspringen, 08/15-Choreographien, dazu lediglich behauptete Empfindungen. Etwa beim Treffen des jetzt weltberühmten Elton mit seinem verbohrten Daddy. Da pulsiert's nicht, Egertons Blicke mögen Trauerflor tragen, eine mögliche Übertragung zum Zuschauer versackt trotzdem klanglos auf halbem Weg. Fletcher kann sich glücklich schätzen, daß ihm Kameramann George Richmond zur Seite steht und sein Pulver aufbietet, wenn die Regie ihres bereits verschoß. Das rettet manche Szene, komplette Szenenblöcke. Verhindert aber nicht eingangs erwähnte Mitleidsmasche.

Denn filmisch gesehen hat Elton Johns Leben zwei entscheidende Probleme. 1.: Es dauert noch an. Und 2.: ohne AIDS, verstoßene Kinder, kreischige Skandale et cetera. Sogar diverse kaum aufregende, da einem Promi einfach zugehörige, Süchte (Sex, Drogen, Alkohol) wurden überwunden. Wie langweilig! Inszenatorische Abhilfe? Richtig: Erst breit ausgewalzt Schuld zuweisen, die Monster-Mutti verbal abstrafen, den betrügerischen Ex-Liebhaber verurteilen, schier endlos andauernd, zwar Eltons Arschloch-Attitüde andeutend, selbige jedoch stets zu (v)erklären suchend, total chancenloser armer schwarzer Kater halt. Und schließlich erneut ewig währenden Gruppenkuschelkitsch hinterherschieben, psychologisch final am billigsten Rand angelangt, bloß schwer zu ertragen.

Da läuft man fast Gefahr, sich mutig gegen Egertons One-Man-Revue stemmendes Nebenpersonal aus dem Fokus zu verlieren: Jamie „Bernie Taupin“ Bells stille Kraft, Gemma Jones' großmütterliche Wärme – und an vorderster Front Bryce Dallas Howards Sheila, Eltons Mom. Eine doppeldeutig fleischige Vorstadthausfrau, gefühlt zu Höherem geboren, real im bedeutungsleeren Existenzraum gefangen, darob vom Herzen her gefroren und zerstörerisch frustriert. Howard schenkt einer verordnet unsympathischen, aus Klischees zusammengetackerten Schablonenfigur ihre zugewandte Liebe, formt sie zum dreidimensionalen Charakter. Und endlich ahnt man, was obiges Zitat mit Ehrlichkeit meinte.

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...