Noch keine Bewertung

Rocksteady: The Roots Of Reggae

Alte Männer mit wippenden Bärten

Auf der Weltkarte ist Jamaika ein Zwerg, im Musikuniversum ein Riese. Die heutige Popmusik wäre anders, wenn sich nicht Mitte des letzten Jahrhunderts eine Handvoll Musiker aus Jamaika auf einen anderen Beat verständigt hätten. Wer jetzt an Reggae denkt, liegt erst mal falsch, denn vor dem Reggae kam Rocksteady. Und Rocksteady entwickelte sich aus dem viel schnelleren Ska, mit dem sich die Jamaikaner nach der Unabhängigkeit von Großbritannien freigetanzt hatten.

Anders als Ska und Reggae blieb der Rocksteady hierzulande aber relativ unbekannt. Das will diese Doku ändern. Dafür hat der Regisseur und Musikexperte Stascha Bader eine Rocksteady-All-Star-Kapelle zusammengestellt und die ehemaligen Größen in Kingston ins Studio geladen. Die Wiedersehensfreude ist groß, viele der Musiker haben sich vierzig Jahre nicht gesehen, und bald wippen allerorten die grauen Bärte im Takt. Wem das bekannt vorkommt, der wird sich auch im weiteren Verlauf des Films nicht mehr wundern, denn Bader folgt dem Erfolgsrezept, das Wim Wenders und Ry Cooder mit BUENA VISTA SOCIAL CLUB vorgegeben haben.

Ein bißchen Lokalkolorit, ein paar Archivaufnahmen, massig Interviews und viel, viel Musik – das sind die Zutaten dieses Menüs. Stascha Bader ist kein schlechter Koch, und auch seine Protagonisten machen ihren Job ordentlich und erzählen lustige Anekdoten über die gute alte Zeit. Der Sänger Stranger Cole führt als eine Art Märchenonkel durch den Film und die Zuschauer in die politische Geschichte Jamaikas ein. Trotzdem hat das Ganze einen etwas faden Beigeschmack, denn diese Dramaturgie wurde doch schon zu oft bemüht. Richtiggehend seltsam wirkt es dann, wenn Rita Marley in ihrem Gastauftritt ganz unverblümt allzu Privates aus dem Nähkästchen plaudert. Da drängt sich doch der Eindruck auf, daß ihr klingender Name vor allem die richtige Würze fürs Marketing des Films erzeugen soll. Inhaltlich hätte man darauf gut verzichten können.

Trotz aller Kritik lohnt sich der Besuch des Films für alle Fans von Rocksteady, Ska und Reggae durchaus, denn die Musik selbst und diejenigen, die sie erfunden und weiterentwickelt haben, sind bezaubernde Erzähler und hervorragende Musiker, die noch immer ihr Publikum mitreißen können. Mit ein bißchen mehr Mut aber hätte aus diesem Film mehr werden können als nur die Wiederauflage des benannten Wenders-Werk mit neuer Geschmacksrichtung.

Originaltitel: ROCKSTEADY: THE ROOTS OF REGGAE

CH/Kanada 2009, 98 min
FSK 0
Verleih: REM

Genre: Dokumentation, Musik

Regie: Stascha Bader

Kinostart: 19.08.10

[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.