Satin Rouge ist der Name eines tunesischen Nachtclubs. Hier, in einem rauch- und alkoholgeschwängerten Raum, inmitten frenetisch klatschender Männer tanzen spärlich bekleidete Frauen zu pulsierender Musik, ist die tunesische Welt der Nacht zu Hause. Mit ihrer losen Moral, ihrer Verruchtheit und ihrer Laszivität steht sie der Welt des Tages, mit ihren strengen Regeln und ihrer Prüderie diametral gegenüber. Die tunesische Regisseurin Raja Amari läßt diese gegensätzlichen Welten in Gestalt ihrer Heldin Lilia aufeinandertreffen.
Lilia ist eine noch junge Witwe und vorbildliche Mutter einer fast erwachsenen Tochter. Sie lebt in Tunis und genießt den Ruf einer anständigen Frau. Ansonsten genießt Lilia wenig, denn ihre Tage verbringt sie mit dem Putzen ihrer Wohnung und dem Warten auf ihre Tochter, die immer häufiger fernbleibt und bei Freunden übernachtet. Eines Nachts macht sich Lilia auf die Suche nach ihr, und ihr Weg führt sie ins Satin Rouge. Hier offenbart sich ihr eine völlig fremde Welt, bedrohlich und gleichsam verlockend. Trotz moralischer Bedenken kann sich Lilia der Faszination des Nachtclubs und vor allem der des Bauchtanzes nicht entziehen. Eine Freundschaft entspinnt sich zwischen ihr und der Startänzerin des Clubs, und kurze Zeit später steht Lilia selbst auf der Bühne. Vor den Augen der Männer verwandelt sie sich in eine sinnliche und erotische Frau. Zu ihren Bewunderern zählt auch der Musiker Chokri - ausgerechnet der Mann, zu dem Lilias Tochter eine Beziehung unterhält ...
Während die Filme ihrer Kollegin Moufida Tlatli (PALAST DES SCHWEIGENS und ZEIT DER MÄNNER, ZEIT DER FRAUEN) ein differenziertes Bild des Lebens in Tunesien zeichnen und dem Verhältnis der Geschlechter gewidmet sind, erzählt Raja Amari die Geschichte einer Frau, die zwischen zwei Welten balanciert, die ihren Träumen folgt, ohne dabei zu rebellieren. Verblüffend ist die Eindringlichkeit des sozialen Milieus, welches Amari im Grunde bloß grob skizziert. Das Tempo, in dem die Heldin ihre gewöhnliche Mutterrolle abstreift, mag verwundern. Dem eindringlichen Spiel Hiam Abbas’ ist es zuzuschreiben, daß dies als Indiz für die Kraft der verborgenen Sehnsüchte dennoch funktioniert.
Originaltitel: SATIN ROUGE
F/Tunesien 2002, 91 min
Verleih: Alamode
Genre: Drama
Darsteller: Hiam Abbas, Hend El Fahem, Maher Kamoun
Regie: Raja Amari
Kinostart: 06.06.02
[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.