Originaltitel: PARLEZ -MOI DE VOUS
F 2012, 89 min
FSK 6
Verleih: Alpenrepublik
Genre: Tragikomödie
Darsteller: Karin Viard, Nadia Barentin, Nicolas Duvauchelle, Nadia Barentin
Regie: Pierre Pinaud
Kinostart: 01.11.12
Sie trägt sorgfältig Lippenstift auf. Setzt sich in Pose. Für das unsichtbare Publikum, das darauf wartet, daß ihre sanfte Stimme es durch die Nacht bringen wird. Claire schlüpft in einer Radioshow in die Rolle der Mélina. Diese Kunstfigur ist eine Berühmtheit ohne Gesicht, die mit ihren Zuhörern deren Geheimnisse teilt. Nur getrennt durch den Äther ist Claire nahbar, intim, kann geben und empfangen. Im Leben außerhalb der Moderatorenkabine ist menschlicher Kontakt ihr unerträglich.
Pierre Pinaud schrieb in seinem Langspielfilmdebüt Karin Viard vielleicht die Rolle ihres bisherigen Schauspielerinnenlebens. Sie gab ihm eine Claire/Mélina zurück, die mit ihrer spröden Schönheit und tragikomischen Kontrollsucht in virtuoser Präzision zu Tränen rührt. Und einen trotzdem lächeln läßt.
Gerade nach Hause gekommen von der Show, streift sie ihre Pfennigabsatz-Louboutins ab, plaziert sie auf einem strahlend weißen Podest, um in ein identisches Paar – offensichtlich ihre Hausschuhe – hineinzugleiten. Ihr Hund und sie genießen den Blick über Paris in bester Lage. Sie rauchend, das geht gottlob im französischen Kino noch! Die Wohnung klinisch elegant. Madame begeistert durch gepflegten Spleen. Hinter einer unauffälligen Schranktür findet sich das verborgene Trauma. Mélina alias Claire rückt ihre Utensilien auf dem sterilen Schreibtisch zurecht, bevor sie einen Brief öffnet. Der Inhalt führt sie in die Welt der offensiv gemusterten Couchgarnituren und Plastikblumentöpfe. Hier wird geflucht, gefeiert und gelästert. Hier wohnt ihre Mutter Joëlle, die Claire als Kind ins Heim gegeben hatte.
Pinaud läßt seine Heldin in den absoluten Kontrast hineinschlittern, denn der Schrein aus dem Schrank der Kindheit wird plötzlich lebendig. Und Claire kämpft. Sie will Liebe, sie will ein Stück Familie, sie will dazugehören. Auch zu dem Preis, sich auf Mittelmäßigkeit und schlechten Geschmack einzulassen. Alles besser als keine Mutter. Dafür würde sie, wenn sie nur könnte, ihre perfekte Kulisse aufgeben, alle Masken fallen lassen.
Pinaud läßt dieses Ringen um ein Stück Geborgenheit zu einem bewegenden und glücklicherweise nicht rührseligen Drama werden. Mit zugewandter Genauigkeit zeichnet er eine Studie der Ablehnung und ihrer Folgen, die Claire und Joëlle zu denen machte, die sie sind: Mutter und Tochter, alles und nichts.
[ Susanne Schulz ]