Wir haben sie wirklich vermißt. Nach DREI MÄNNER UND EIN BABY konnte Coline Serreau kaum Fuß fassen. Jetzt ist sie wieder da, genauso wie wir sie mögen: mit einem amüsanten, in den ruhigen Szenen tiefberührenden Film, in dessen Zentrum - das war schon immer die Stärke Serreaus - gut beobachtete Charaktere stehen, die all das widerspiegeln, was den modernen Menschen so ausmacht: Frust, Mißgunst, Zänkerei. Und manchmal auch das berühmte Glas zu viel. Daß das nicht so bleiben muß, dafür sorgt eine alte Dame, die nach ihrem Ableben nicht nur ein Vermögen hinterläßt, sie bürdet ihren verstrittenen Kindern ordentlich was auf: an den Batzen Geld kommen sie erst, wenn sie gemeinsam auf Wanderschaft gehen. Nein, kein flockiger Spaziergang durch den Pariser Bois de Boulogne, richtiges Wandern und Leiden sind angesagt, der Jakobsweg soll es sein!
Wir sehen: Clara, die frustrierte Lehrerin, die der Maxime folgt "Jedem seine Sch...", Pierre, der cholerische Unternehmer, der um seine kranke Frau bangt, und Claude, eine sorglose Frohnatur, dem nur wichtig scheint, ob es denn Kneipen auf dem Weg gibt! Serreau stellt den Zwangspilgern starke Randfiguren zur Seite, ins Herz treffen ein liebestrunkener Araber und dessen etwas naiver Cousin Ramzi, der diesen Weg für seine kranke Mutter geht. Er weiß nur noch nicht, daß Mekka dann doch einen Tick weiter östlich liegt ...
In kleinen Dosen wird das private Umfeld der Figuren angerissen, daraus entstehen sehr intime und zu Herzen gehende Momentaufnahmen. Jeder hat sein Päckele zu tragen, könnte eine Botschaft sein. Doch darüber hinaus legt sich Serreau für den Zusammenhalt ins Zeug. Wie wenig wert ist es denn auch, sturköpfig und blind vor falschem Stolz durchs Leben zu hetzen, das eh’ viel zu kurz und zu schade für gerade auch familiären Zank ist? Die "Menschwerdung" ihrer vorerst haßerfüllten Helden entwickelt sie mit viel Fingerspitzengefühl und mit manch deftigem Scherz, für den auch mal schnarchende Holländer herhalten müssen.
Sie setzt das mit interessanten Bildmontagen, surrealen Traumsequenzen und manch wohltuend stillem Moment trefflich um, verweist dabei wie nebenher auf das Verbindende in den Religionen. Und ohne Missionarsanspruch gelingt es Serreau, dem Vorurteil Pierres entgegenzuwirken, der doch tatsächlich meinte, daß Pilgern nur etwas für vorsintflutliche Frömmelomas sei ... Formidable, Mme Serreau!
Originaltitel: SAINT JACQUES ... LA MECQUE
F 2006, 112 min
Verleih: Schwarzweiß
Genre: Tragikomödie
Darsteller: Muriel Robin, Jean-Pierre Darroussin
Regie: Coline Serreau
Kinostart: 06.09.07
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.