Was verbindet man mit 25 Jahren? Eventuell den Spontangedanken an eine Silberhochzeit, mithin Vertrauen, blindes Verständnis, unzählige im Team gemeisterte Krisen. Aber eben auch Verletzungen, Verzeihen, nachhallende Fehltritte, welche über derart lange Zeit kaum ausbleiben können. Passend dazu musiziert das „Fugue String Quartet“ eben jene 25 Jahre gemeinsam, und das Leben hat Spuren hinterlassen. Rein äußerlich vor allem um die Augen der vier Musiker, Falten gruben sich ein. Die Risse nach innen wurden bislang übertüncht, doch jetzt reißen sie auf, als Cellist Peter erfährt, an Parkinson zu leiden. Seine Kollegen reagieren unterschiedlich: Juliette neigt zur Verdrängung, Robert sieht endlich eine Chance gekommen, nicht mehr nur – wortwörtlich – die zweite Geige zu spielen, und Daniel bricht mentale Verknöcherungen durch eine Liebesaffäre. Die Erwählte: ausgerechnet Juliettes und Roberts Tochter Alexandra.
Es geschieht noch manches andere, indes nichts Großes, der Grundtenor bleibt geerdet, nah am Wirklichen. Und trotzdem (oder eher gerade deshalb) fällt man vom ersten Moment – hinein in die Musik, an die Seite wundervoller Darsteller, über manchmal poetische, teils zynische, immer ihr Ziel treffende Dialoge. Diese erklären zum Glück wenig, liefern Fakten. Zum Beispiel hinsichtlich einer einst viel gefühlvolleren Ehe, deren sukzessive Veränderungen schlicht geschahen. Sie thematisieren Ängste, Erfordernisse, empfundenen Mangel an Unterstützung. Und antworten so unerwartet wie spannend auf die Frage aller Fragen: „Liebst Du mich wirklich?“
Was aber nicht meint, daß hier die ultimative Depression wabert; leiser, der Realität abgeschauter Witz hofft bloß darauf, entdeckt zu sein, gehört zu werden. Funkelndes Beispiel grandioser Schauspiel- und Drehbuchkunst unter anderem Juliettes Reaktion angesichts der Inneneinrichtung von Alexandras neuer Wohnung: „Oh ...“ (um Fassung ringende Pause) „Nice ...“
Wie es heißt, klingen zerbrochene Vasen nach dem Zusammenkleben nicht mehr. Ob jene Weisheit auch für notdürftig gekittete menschliche Beziehungen gilt, läßt das Ende dankenswerterweise offen, rührt außerdem zu feuchten Augen und bietet einen Wimpernschlag lang sogar Opernstar Anne Sofie von Otter einen Gastauftritt aus dem Handlungsjenseits – ebenso großartig wie die ganze Studie des Splitterns und Restaurierens vorher.
Originaltitel: A LATE QUARTET
USA 2012, 105 min
FSK 6
Verleih: Senator
Genre: Drama
Darsteller: Philip Seymour Hoffman, Christopher Walken, Catherine Keener, Mark Ivanir, Imogen Poots
Stab:
Regie: Yaron Zilberman
Drehbuch: Yaron Zilberman
Kinostart: 02.05.13
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...