Ohne Zweifel: Ferzan Ozpetek gehört zu den aufregendsten Filmemachern des modernen italienischen Kinos. Dafür steht auch seine aktuelle Arbeit, wieder einmal - nach DIE AHNUNGSLOSEN - ein Reigen über Freunde als Ersatzfamilie, über den plötzlichen Tod und das Erkennen der Chance im Verlust. Doch keine Sorge, auch wenn SATURNO CONTRO thematisch auf den ersten Blick ähnlich gelagert ist wie der Erfolgsfilm aus dem Jahr 2000, Ozpetek ist weit davon entfernt, sich selbst zu kopieren, gar auf Nummersicher zu erzählen. Er hat einfach sein Thema und Stil gefunden, da ist er Pedro Almodóvar nicht unähnlich, der Auftakt und der Rhythmus und auch die Reife seines Werkes erinnern sogar ganz deutlich an den spanischen Kollegen.
Die Harmonie zu Beginn des Films ist eine trügerische: Freunde versammeln sich in der lässigen Wohnung des Paares Davide und Lorenzo. Man diskutiert, man streitet fröhlich, Weine machen die Runde, kleine und größere Sorgen werden angerissen und weggetanzt, das Leben sieht eigentlich so aus, wie es die Werbung immer wieder verspricht. Alternative Lebensformen, märchenhafte Toleranz, alle in Lohn und Brot, das Leben ein einziges großes, friedvolles Fest. Doch als ob Lorenzo etwas ahnen würde, versucht er den Moment festzuhalten. Wenn es doch nur immer so sein könnte, immer die gleichen Leute, die gleichen Geschichten, die gleichen Gespräche. "Per siempre" sagt der Schöne. Ausdruck einer Angst - vor der Unberechenbarkeit, der Endlichkeit des Lebens, Furcht vor der eigenen Verletzlichkeit. Und da erweist sich Ozpetek als ganz subtiler Erzähler, mit einem großen Gespür für kleine Gesten, einer hohen Sensibilität für die richtigen Worte - quasi eine Ausnahme im sonst gern so hysterisch lärmenden italienischen Kino. Plötzlich bricht Lorenzo am Tisch zusammen, er wird kurz darauf sterben - eben noch jung, schön, erfolgreich. Seine Freunde stehen dem ohnmächtig gegenüber und werden doch durch diese Zäsur wieder auf Dinge gelenkt, die sie ganz persönlich betreffen: Affären, Lügen, Verletzungen. Die Chance dahinter: ein neues Selbstbewußtsein, ein tieferer Zusammenhalt.
Was schnell zur beliebigen Seifenoper hätte werden können, wird bei Ozpetek zum mitreißenden Mosaik einer wahlverwandtschaftlichen Anordnung, zum bewegenden Bekenntnis zu den Unwägbarkeiten des Lebens. Dazu gehört, daß Vertrauen zwar gut und Kontrolle gleich ganz daneben ist: Es gibt keine Garantie für absolute Treue, keinen Abo-Anspruch für einen Platz auf der Sonnenseite. Mit Humor - das ist zumindest eine Lesart - läßt Ozpetek Angelica auf den Seitensprung ihres Göttergatten reagieren: "Manchmal will man betrogen werden. Man liebt halt immer den Falschen!" Diese Angelica wird im Übrigen - wie soll es anders sein - ganz fabelhaft von Margherita Buy gegeben, und gerade ihr erneutes Zusammenspiel mit Stefano Accorsi gibt dem zauberhaften und emotional vielschichtigen Film seine besondere Würze. Neben dem Paar müssen sich die anderen Freunde mit ihrem Drogenkonsum, ihren Ängsten und manchmal auch nur mit ihrer großen Klappe auseinandersetzen. Oder Lorenzos Vater sich endlich zu Liebe und Akzeptanz seines Sohnes bekennen. Und das läßt Ozpetek so unprätentiös, ja so leicht einfließen, daß man fast vergißt, daß der Tod eines Freundes und verstoßenen Sohnes der Auslöser für diese vielfältigen und geschickt verknüpften Geschichten war.
Originaltitel: SATURNO CONTRO
I/F/Türkei 2008, 110 min
Verleih: Pro Fun
Genre: Drama, Schwul-Lesbisch
Darsteller: Stefano Accorsi, Margherita Buy
Regie: Ferzan Ozpetek
Kinostart: 13.11.08
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.