Nein, hier ist echt nichts mit schwindsüchtigem Verwehen. Keine anämische Zauberberg-Noblesse, keine Romantik philosophierenden Dahindämmerns auf den Gipfeln der Empfindsamkeit. Emanuel selbst konstatiert sarkastisch, daß er fatalerweise eben nicht an der romantisch-schönen Lungentuberkulose erkrankt ist, in deren Verlorenheit der junge Kaufmannssohn und Dichter sich, gleich einem Hans Castorp, verlieren hätte können. Stattdessen: Knochentuberkulose plus Pottsche Krankheit, eine eitrige Entzündung der Wirbelsäule. In Kombination ein denkbar brutales Zurückgeworfensein auf den Körper in Schmerz, Erstarrung und Auflösung. Kein Verwehen, ein Verrotten.
M. Blecher (1909-1938) heißt der rumänisch-jüdische Dichter, dessen Alter Ego Emanuel man jetzt in SCARRED HEARTS beim – man muß es so sagen – Sterben zuschauen kann. Was hier aber heißt: bei der eindringlichen Selbstbehauptung des Geistes gegen die Zumutungen einer im wahrsten Sinne körperlichen Auflösung. Das ist es, was Regisseur Radu Jude mit der losen Adaption von Blechers Roman „Zernarbte Herzen“ zeigt. In einer Abfolge streng statischer Einstellungen, im Bildformat 4:3.
Alles andere als formale Willkür. Vielmehr eine geradezu naheliegende Methode, Starre und Beengung zu transportieren. Zugleich aber sind diese Bilder kunstvoll komponiert und harmonisch kontrolliert. Sind Malerei und Protokoll, Kunst und Poesie. Und auch das transportiert und manifestiert natürlich etwas. Schließlich sieht man hier einen Menschen, der seiner zunehmenden Bewegungs-Unfreiheit mit der größtmöglichen Gedankenfreiheit begegnet. In diesem rumänischen Sanatorium des Jahres 1937, nahe des Schwarzen Meeres. Das dann eben auch eine Enklave ist. Am Rand der Welt, aber nicht außerhalb dieser. Denn daß auch die europäische Zivilisation – deren ethisches Stützgerüst – erstarrt, zerbricht, eitert, ist nicht ignorierbar.
Und so hört man in SCARRED HEARTS das Totlachen der Todkranken über Hitlers schwachsinniges Herrenmensch-Blöken im Radio. Sieht diese zunehmend ausgemergelten Körper, an denen mit peinigenden Therapien, mit grotesk anmutenden Gerätschaften und Gipsverbänden die Wissenschaft kaltschnäuzig und selbstgewiß ihr Scheitern exerziert.
Originaltitel: INIMI CICATRIZATE
Rumänien/D 2016, 141 min
FSK 12
Verleih: Real Fiction
Genre: Drama
Darsteller: Lucian Teodor Rus, Gabriel Saphiu, Serban Pavlu
Regie: Radu Jude
Kinostart: 23.02.17
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.