• Meinungen

Schiffsmeldungen

Zurück zum Traumgewicht: Lasse Hallström nach der Diät

Zäh kleben Lasse Hallströms Süßwaren aus CHOCOLAT mitsamt ihrer Harmlosigkeit in den Augen, und mit Freude wird man sie sich jetzt auswischen, um von seiner Proulx-Adaption auch nicht das mindeste zu verpassen. Der ans Land des netten Lächelns verloren Geglaubte ist zurück, würzt Süße mit Salz, Herzensdinge mit Klugheit und hintergründigem Witz und erzählt die wundersame Geschichte einer Taufe, die ein ganzes Leben dauert. Rabiat stößt er seinen Helden ins kalte Wasser - Todesangst, Lebensangst peinigen diesen Quoyle.

Die Furcht vor dem Wasser ist sein Kindheitstrauma, sein erstes Versagen bevor er in allem anderen versagen konnte: Studium geschmissen, malochen als Drucker am Fließband, die Ehe mit einer veritablen Schlampe, die ihn erst vorläufig, dann endgültig verläßt - sie stirbt bei einem Unfall. Er bleibt zurück mit der kleinen Tochter Bunny. Seine Tante Agnis, eigentlich nur gekommen, um die Asche seines Vaters zu entführen und auf sie zu urinieren, nimmt die beiden mit ins rauhe Neufundland, den Ort ihrer Kindheit. Wasser, wohin Quoyle nur schaut, zum ersten Mal aber auch zaghafter Mut und eine Aufgabe: Als Reporter der Lokalzeitung, die vorerst nur zum Fische einwickeln taugt, ist er für Autounfälle und Schiffsmeldungen zuständig.

Große, poetische Bilder und dennoch kein erschlagend wuchtiges Gemälde - dieser Film lebt und atmet und amüsiert. Und auch wenn Leichtigkeit und Schwere wie gewohnt zu bekömmlicher Harmonie ausbalanciert sind, zeigt sich Hallströms dritte Literatur-Verfilmung in Folge durchaus sperriger als ihre Vorgänger. Warmherzig, aber immer auch ruppig legt er Quoyles wahrhaft neufundländische Natur frei, die fatalistisch und staubig allen Wassern trotzt.

Unbeschadet und wiedergeboren als versehrter, mürrischer Engel hat auch Judi Dench vergangene Schokoladenorgien überstanden und ihr weises, mit Falten gemaltes Gesicht mitgebracht, damit es sich mit einer ebenso weisen, zerfurchten Landschaft umgeben kann.

[ Sylvia Görke ]