Originaltitel: THE GLASS CASTLE
USA 2017, 120 min
FSK 12
Verleih: StudioCanal
Genre: Drama
Darsteller: Woody Harrelson, Brie Larson, Naomi Watts
Regie: Destin Daniel Cretton
Kinostart: 21.09.17
Mag draußen Revolution sein – die nachhaltigsten Wunden zieht man sich ganz en famille zu. Papa und Mama, die Gottheiten der Kinderzeit, gehören vom Sockel gestoßen. Unbedingt. In einem befreienden Handstreich. Hin und wieder fallen sie jedoch von allein – egal, ob man sie mit Liebe oder mit Steinen bewirft. So oder so gilt es, die kindliche Verehrung in etwas Erwachsenes umzuwandeln. Diesen Blick zurück in erwachsener Milde, nicht im Zorn, nahm die Journalistin Jeannette Walls in ihrer 2005 erschienenen Autobiographie ein. Nun darf die (Noch-nicht-)Leserschaft in einer Filmadaption mitblicken.
Sie schaut auf eine US-amerikanische Kindheit der 60er und 70er Jahre, als die aus alten Revolten hervorgegangenen Nonkonformisten selbst Töchter und Söhne bekamen. Jeannette, die Zweitälteste von Vieren, wächst mit liebenden, herrlich unautoritären Eltern auf, manchmal auch ohne Abendbrot und umgeben von Schnapsflaschen. Aber was für ein Glück, unter diesem Hippie-Himmel geboren zu sein! Von dem Vater Rex einem die Sterne pflückt – wenn kein Geld für ein „richtiges“ Geburtstagsgeschenk im Haus ist. Von dem Mutter Rose Mary sich für ihre Gemälde inspirieren läßt – und darüber das Kochen vergißt. Mit den Jahren verfärbt sich dieser Himmel. Nicht nur, weil er über den ständig wechselnden Wohnadressen schäbiger aussieht. Er entpuppt sich als Ego-Paradies der vom Bürgerlichen befreiten Selbstverwirklicher, die sich um alle Verpflichtungen herumträumen. Auch um jenes Haus aus Glas, das Rex seinen Kindern bauen wollte. Und wofür er immer zu betrunken war.
Ein emotionaler Extremist und eine expressionistische Abstrakte – die elterlichen Feindbilder haben sich gewandelt. Offenbar so wie die Verve, mit der man sich an ihnen abarbeitet. Nach CAPTAIN FANTASTIC, einer thematisch artverwandten, aber mit zuspitzendem Sarkasmus begabten Kampfansage, versucht Regisseur Destin Daniel Cretton, der oben angekündigten Milde das adäquate Kino-Pendant zur Seite zu stellen. Mit Erfolg, leider. Denn seinem Film, der gleich zwei retrospektive Erzählebenen – die karrieregeilen 80er und die erfolgsskeptischen 60er – durchaus mit Sinn für den „peinlichen“ Kontrast miteinander verschaltet, fehlt der kinematographische Glasstaub. Wie der sich beim Einatmen hätte anfühlen können, riecht man im dokumentarischen Abspann.
[ Sylvia Görke ]