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Schmetterling und Taucherglocke

Julian Schnabels dritte Regie - ein visuell berauschendes, tief berührendes Kinoglanzstück

Was für eine Ouvertüre! Das fast wäßrig angeschlagene Klavier, die keß hüpfenden Streicher des Trenet-Klassikers "La Mer" - dazu wurden Röntgenbilder geschnitten! Auftakt zu einem Leben hinter Milchglas, Beginn des neuen, kurzen Daseins von Jean-Dominique Bauby, in den 90ern Chefredakteur der Hochglanzpostille "Elle." Im Koma lag er, nun spricht er. Doch keiner der ihn umgebenden Ärzte und Krankenschwestern kann vernehmen, was er sagt. Jean-Dominique aber hört sie, alles werde gut, man verspricht es, man solle geduldig sein. Geduldig muß aber vor allem Jean-Do sein, wie man ihn nun im Vertrauen und unter Freunden nennt. Hinderlich ist dabei, daß ihm trotz des Schlaganfalls, den er an der Seite seines Sohnes erlitt, zwei Fähigkeiten geblieben sind: Erinnerung und Vorstellungskraft. Gerade letztere muß ihm höllische Schmerzen bereiten, als man ihm das rechte Auge zunäht, um Geschwüren vorzubeugen.

Und eine dritte Fähigkeit ist ihm geblieben, die der Kommunikation, wenn auch eingeschränkt und über die einzige vitale Stelle seines komplett gelähmten Körpers: das linke Auge, mit dem er sich über binäres Blinzeln verständlich macht und sogar ein Buch per Diktat schreiben wird. Bis dahin ist es ein hürdenreicher Weg, zu dem auch gehört, daß er sich im Spiegel ertragen muß: wie im Formalinglas schaut er aus, meint Jean-Do. Und damit blitzt immer wieder die vierte Fähigkeit auf, die zu Selbstironie und Galgenhumor. Den man in der Tat auch haben muß, um Sprüche von Ärzten zu ertragen, die klagen, daß man nicht eher ans Krankenbett eilen konnte, weil es derzeit so schön in St. Moritz sei. Oder um den Testbild-Terror durchzustehen, wenn das überforderte Pflegepersonal mal wieder vergaß, die Glotze auszumachen. Oder wenn eine gläubige Therapeutin zum Wunderherbeizitieren ihn gar ins Gotteshaus schleppt. Jean-Dos größte Fähigkeit aber, Nummer 5 also, ist die zur bedingungslosen Liebe. Eine Liebe, die uns den Atem raubt, die zu Tränen rührt, in den Begegnungen mit seinen Kindern, seiner Frau, den Telefonaten mit der neuen Freundin, bei den zärtlichen Kontakte zu seinem alten Vater. Und hier zieht der vielfältige Künstler Schnabel alle Register.

Was mit Leichtigkeit hätte zu wasserreichem Kitsch geraten können, gelingt ihm zu ganz großen, sentimentfreien und um so heftiger bewegenden Kinomomenten: da gibt es viele, geschickt montierte stille, unkommentierte Hilflosigkeiten, beispielsweise wenn Jean-Do seiner Therapeutin "Je veux mourir" diktiert, wenn er seine Frau auf dieser unwirklichen Terrasse im malerischen Berck-sur-Mer sieht und sie ihm dabei mit tiefsitzender Trauer zu ihm gebeugt in die Augen schaut ...

Vielleicht ist Schnabel der perfekte Film gelungen, in dem alles stimmt, alles symbiotisch verwoben wird, das Bild, das Spiel, die Musik. Dieses Kunststück, der Film ist zweifellos eines, gelingt auch durch die perspektivenreiche Kameraarbeit Janusz Kaminskis. Artifiziell sicher, auch manchmal Anstrengungen einfordernd, immer jedoch das Gefühl treffend - ohne manieriert zu sein. Unglaublich! Schnabel ist aber auch ein formidabler Erzähler, der gottlob nicht noch einmal die ewig gleiche Geschichte von Glanz, Glitter und Untergang dieser Chefredakteurswelt erzählt. Nein, kurzes ausreichendes Einsprengseln genügt, kleine Häppchen, die so viel über diesen wieder erstarkten Menschen Bauby erzählen: die sich ähnelnden Frauen, die ihn umgeben, der Umgang mit seinen drei Kindern und - was für ein gelungenes Bild für den Kampf gegen Phänomene, die größer als wir sind - Bauby im Rollstuhl auf einer Plattform im wogenden Meer.

Originaltitel: LE SCAPHANDRE ET LE PAPILLON

F/USA 2007, 112 min
Verleih: Prokino

Genre: Drama, Literaturverfilmung, Schicksal

Darsteller: Mathieu Amalric, Emmanuelle Seigner, Marie-Josee Croze, Patrick Chesnais, Jean-Pierre Cassel, Max von Sydow

Regie: Julian Schnabel

Kinostart: 27.03.08

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.