D 2014, 93 min
FSK 16
Verleih: Constantin
Genre: Drama, Literaturverfilmung, Erotik
Darsteller: Lavinia Wilson, Jürgen Vogel, Juliane Köhler, Anna Stieblich, Robert Gwisdek
Regie: Sönke Wortmann
Kinostart: 18.09.14
Als vor etwas mehr als einem Jahr die Verfilmung ihres Bestsellers „Feuchtgebiete“ die Kinos aufmischte, bekannte Autorin Charlotte Roche, ab sofort keine Zoten mehr reißen zu wollen. Und legte, ganz die Offensive, jener eigentlich geerdeten Information gleich noch was drauf: „Ich bin sozusagen leergebumst, was das angeht.“
Nun wollte man sich diesen Zustand damals nicht wirklich bildlich vorstellen, durfte aber neugierig sein: Wo mochte die Reise hinführen? Und jetzt ist sie da, die filmische Antwort in Form der SCHOSSGEBETE, einer krassen, seltsam berührenden und melancholischen Psychoanalyse. Auf der wortwörtlich zu verstehenden Couch liegt Elizabeth, um die 30, Mutter einer Tochter (altklug), getrennt vom Vater (nervig), verheiratet mit Georg (extrem entspannt). Letzterer muß vieles ertragen, denn Elizabeths Selbstbekenntnis, „sehr verwirrt“ zu sein, entspricht nicht mal ansatzweise der Wahrheit. Die Frau ist ein neurotisches Wrack, allerdings nicht grundlos, denn einst kamen ihre drei Geschwister beim Unfall auf der Autobahn ums Leben. Weil Elizabeths Hochzeitskleid nicht mehr in den Flieger paßte ...
Schuldgefühle zerfressen die Zurückgebliebene, Verlustängste wabern allerorten, Kontrollzwang steht an der Tagesordnung, ohne Therapeutin liefe nix. Freiheit fühlt Elizabeth ausschließlich beim Sex, und der wird zelebriert. Zu Hause, mit Pornos, an Georgs Seite im Bordell ... Sollte die erwählte Prostituierte jedoch große Brüste haben, ergo zu attraktiv wirken, findet sich der Mann ganz fix angekeift auf offener Straße wieder. Wie gesagt, Elizabeth kommt gar nicht klar.
Wo man sich angesichts der FEUCHTGEBIETE durch eine stolze Patina aus kunterbunten (vermeintlichen?) Tabubrüchen wühlen durfte, um zum traurigen Kern der Figur zu gelangen, machen es die SCHOSSGEBETE einfacher. Manchmal schon brutal offen, angenehm auf Sensationsgier verzichtend, unter Zuhilfenahme von Humor. Indes abseits dessen, was Regisseur Sönke Wortmann zuzutrauen war: Grimmig, böse, schwarz flackert die Komik, häufig an der Grenze zum Schmerz, nur selten befreiend, obwohl Jürgen Vogel im lavendelfarbenen Bademantel einiges hat. Und als Teil eines hervorragenden Ensembles agiert – Lavinia „Elizabeth“ Wilsons Rollenstudie beeindruckt jederzeit, Juliane Köhlers Therapeutin setzt der Todesobsession ihrer Klientin einfühlende Grandezza entgegen, und Anna Stieblich triumphiert in den wenigen Szenen, welche Elizabeths Mutter geschenkt sind.
So entfaltet sich die teils markerschütternde Geschichte einer zerstörten Seele zwischen Aufgeben und Kampf, zwischen Lebensverdruß und familiärer Bindung, zwischen Froh-über-jeden-ausfallenden-Besuch-im-Puff und Ich-mache-das-für-meine-Beziehung. Harter Stoff, der endlich auch mal nicht aussieht wie „Das große TV-Event“ und fast nie stolpert. Bis auf die überflüssige Würmer-Sache; da schleicht – leider – das analfixierte Skandalöse heran. Aber es sei Roche vergönnt; völliger Verzicht auf Zoten oder Geschmacksangriffe haut dann wohl doch nicht hin.
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...