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Schräge Zeit

Wie der Ostpunk in die Jahre kam

Worauf man dort wirklich tanzte, was man durfte, wollte oder sollte? Auch nach all den Fernseh-Ostshows, die ein Gemeinschaftsgefühl aus Schlagersüßtafel, Sandmännchen und Karat rekonstruieren wollten, bleibt das Kollektiv DDR verdammt noch mal ein Knäuel von Sonderwegen. In der Ostberliner Punkszene der 80er liefen einige davon zusammen - laute Musik auf wilden Partys, die per Mundpropaganda zu Szenegroßereignissen wurden und sich auf der Flucht vor der Volkspolizei in den Dächern und Kellern der Stadt auflösten.

Der in Berlin lebende und aus Island stammende Filmemacher Sveinsson lauscht am Puls dieser schrägen Zeit und den ehemaligen Mitgliedern der Punkband "Der demokratische Konsum" um Sänger Jan Sputnik. Sie sprechen meistens im Sitzen, denn man ist inzwischen insgesamt etwas gesetzter. Und sie sprechen getrennt voneinander, weil sie jetzt wohl kaum mehr als Anekdoten verbindet: Silkes komisches Bett, ein feuchtfröhlicher Pinkelausflug an die Mauer, Kohle verdienen mit Russenuniformen, Ausfahrten in Staatskarossen, die weeß ick woher stammten. Wie det hieß, wo man sich traf, und wer det war, der dort seine Texte las? Erinnerungslücken, die Sveinsson nicht füllen hilft. Ein paar unbenommen großartige Fotos und Schwarzweißfilmschnipsel von Auftritten zeigt er. Aber hat er die richtigen, die wichtigen Fragen gestellt? Nach den Lebensumständen zum Beispiel, die den jungen Wilden doch erstaunlich viel Freiheit ließen.

Die Antworten jedenfalls bleiben wenig befriedigend. Zu wenig streitbar zeigt sich die intellektuelle Auseinandersetzung mit einer ausdrücklich auf Spaß und Anarchie geeichten Subkultur jenseits des politischen Widerstandes, die in eine bunte Zufallsgemeinschaft mit Oppositionellen aller Couleur geriet und sich das Politische schon deshalb nie ganz vom Leib halten konnte. Zu vage und ungenau erscheinen die Lebenswege, die den einen per Heirat, den anderen auf Ausreiseantrag in den Westen führten. Vor oder nach der Wende sind sie dort alle schließlich angekommen - ob manisch-depressiv wie Jan, der jetzt nach Ausflügen ins Finanz- und Immobilienwesen auf Berliner Wasserwegen Ruhe sucht und fotografiert, mehr oder weniger enttäuscht wie die anderen, über deren genaues Befinden einmal mehr nichts zu erfahren ist.

D 2004, 89 min
Verleih: Basis

Genre: Dokumentation

Stab:
Regie: Ólafur Sveinsson
Drehbuch: Ólafur Sveinsson

Kinostart: 05.01.06

[ Sylvia Görke ]