Das Verlorengehen der Unschuld im Angesicht des Unfaßbaren wurde im Kino schon oft berührend erzählt, man denke nur an grandiose Jugenddramen wie STAND BY ME oder HERR DER FLIEGEN. In ihrem neuen Film nimmt sich die Belgierin Marion Hänsel des Themas an und adaptiert nach ihrem poetischen Flüchtlingsdrama ALS DER WIND DEN SAND BERÜHRTE zwei autobiographisch inspirierte Erzählungen des Schriftstellers Hubert Mignarelli, der sich als junger Mann freiwillig bei der französischen Marine auf dem Mururoa-Atoll verpflichtet hatte.
Die Rekruten Massani, Moriaty und Da Maggio leisten 1972 ihren Wehrdienst auf einem französischen Marineschiff im Südpazifik. Das Leben an Bord ist vom Gegensatz zwischen Drill und Langeweile geprägt. Die Hierarchien unter den Soldaten sind schnell festzumachen: Während der pummelige Da Maggio Opfer von Hänseleien und der alltäglichen Gewalt wird, hält sich der kindliche Massani aus allem raus und sucht die Nähe des älteren, in sich gekehrten Moriaty. Das eintönige Leben an Bord verändert sich schlagartig, nachdem die Crew eine Atomexplosion miterlebt. Beim anschließenden Landgang bringt das gemeinsam Erlebte die drei Kameraden in unterschiedlichste Stimmungen, deren Kollision nur eine Frage der Zeit ist.
Hänsel schafft es, in stillen, wunderschönen und elegischen Aufnahmen von einer Erschütterung zu erzählen, die über das vom Menschen Faßbare hinausgeht. Die Parallelen zu zeitgenössischen Traumata junger Männer nach Armeeeinsätzen sind sicherlich nicht zufällig, werden von Hänsel aber nicht aufdringlich gezogen. Vielmehr verläßt sie sich auf die kindlich wirkenden Gesichter ihrer exzellent gecasteten Hauptdarsteller und zeigt, wie das Entsetzen sich in ihnen spiegelt. Der Atomtest selbst wird nicht zum Politikum stilisiert, sondern wächst in dieser stillen Betrachtung vielmehr zur Versinnbildlichung eines unerträglichen, unfaßbaren, aber dennoch realen und menschengemachten Zustandes. Wenn am Ende die drei jungen Männer wieder an Bord gehen, ist etwas zerbrochen, in ihnen und in der Welt.
Der Schmerz darüber braucht nicht die große Emotion auf der Leinwand. Er ist schon da, in uns. Marion Hänsel versteht es in ihrem neuen Film, diesen Punkt zu finden und ihn zu berühren.
Originaltitel: NOIR OCÉAN
Belgien/F/D 2010, 88 min
Verleih: Salzgeber
Genre: Drama
Darsteller: Adrien Jolivet, Nicolas Robin, Romain David, Alexandre de Seze, Jean-Marc Michelangeli, Steve Tran
Regie: Marion Hänsel
Kinostart: 07.06.12
[ Paul Salisbury ] Paul mag vor allem Filme, die von einem Genre ausgehen und bei etwas Neuem ankommen. Dabei steht er vor allem auf Gangsterfilme, Western, Satire und Thriller, gern aus der Hand von Billy Wilder, Sam Peckinpah, Steven Soderbergh, Jim Jarmusch, den Coen-Brüdern oder Paul Thomas Anderson. Zu Pauls All-Time-Favs gehören DIE GLORREICHEN SIEBEN, TAXI DRIVER, ASPHALT COWBOY, SUNSET BOULEVARD, POINT BLANK ...