CH/D 2020, 101 min
FSK 12
Verleih: Weltkino

Genre: Drama

Darsteller: Nina Hoss, Lars Eidinger, Marthe Keller, Jens Albinus, Thomas Ostermeier

Regie: Stéphanie Chuat, Véronique Reymond

Kinostart: 29.10.20

1 Bewertung

Schwesterlein

… komm tanz mit mir (in den Tod)

Sven will den Hamlet geben, wie in bereits 357 Aufführungen zuvor, er hat die Figur absorbiert – der Regisseur legt trotzdem ein Veto ein. Weil in Sven aggressive Leukämie wütet, knochenmarkspendende Hilfe seiner Schwester Lisa gab temporär Hoffnung. Aber die Krankheit kennt kein Zurück, schreitet unerbittlich voran.

Vor diesem Hintergrund darf man abschweifen: Zugegeben, bis zu einem Alter X sind für nicht wenige Männer Besäufnis und anonymer Sex gängige Freizeitbeschäftigung. Doch verhält sich ein Sterbender wirklich so? Oder dienen entsprechende Szenen vielmehr prominent ausgestellter Gefühlsanalyse, da ans charakterliche Eingemachte gehende Sprüche – „Vorsicht, steck Dich nicht an! Ich hab Krebs!“ – vermeintlich nicht genügen? Weswegen Lars Eidinger, per se toller Mime, oft einfach ausrasten muß, Svens aus Rebellionsgründen überaus sorgsam schief aufgesetzte Perücke bebt unterstützend.

Die Regisseurinnen sinnierten dazu über „die Unentbehrlichkeit des Traums als Fluchtmöglichkeit vor dem Realen“ und glauben, „daß das Ende eines Lebens der Beginn eines anderen sein kann.“ Mag man meinen. Nur hätte es der erzählerischen Erdung und emotionalen Verbundenheit ganz sicher kaum geschadet, manchmal einen Gang runterzuschalten. Dann hätten ziemlich ungeschickt aufgepfropfte Elemente (Spannung: väterliches Kidnapping, Atmosphäre: nächtliche Begegnung voller metaphorischer Bedeutungsfülle) nicht eher gestört denn ihr angedachtes Ziel erreicht.

Nun heißt das Drama eines ärztlicherseits angekündigten Todes indes SCHWESTERLEIN und tut gut daran, seinen Fokus folgerichtig auf Lisa auszurichten – und somit Nina Hoss. Dem ist nichts hinzuzufügen, nur ein Mißverständnis auszuräumen: Teilweise wurde in der Berlinale-Berichterstattung über Hoss’ Zurückhaltung und spannungsarme Performance geschrieben. Wer so aburteilt, interpretiert Lisas stetige Selbstkontrolle – sogar beim Widerstand gegen eine situativ überforderte, daraus unsachliches Handeln ableitende Mutter oder angesichts durch wechselseitige Brüskierung bedrohlich schiefer Ehelage – fehl. Den zwingenden Ausbruch kündigen Kleinigkeiten an; ein Lachen an falscher Stelle, eine verdrückte Träne. Sollte SCHWESTERLEIN die erwünschte OSCAR-Nominierung als Bester fremdsprachiger Film tatsächlich erhalten, wäre sie darum die Krönung eines schauspielerischen Meisterstücks.

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...