Kurzer Prolog: Vorliegender Film ist so etwas wie ein Rezensions-Alptraum. Weil er sich den bewährten Bewertungsmaßstäben entzieht und, wesentlich wichtiger, auch eine Portion Verständnis verlangt, welche über jene in die Wiege gelegte hinausragt. Das wird nachfolgend sicher nicht vollumfänglich klappen, der begabtere Leser sei daher gebeten, es grundgütig zu verzeihen. Alle anderen mögen kurz darüber informiert sein, daß ein Sâdhu im Regelfall keine Beziehung führt sowie jegliche weltliche Güter aufgibt, um Spiritualität zu erlangen, außerdem lebt er extrem zurückgezogen.
So wie Suraj Baba, hiesiger Protagonist, dessen Wohnstatt seit acht Jahren eine Berghöhle stellt. Doch schon packt das Fragezeichen gemein von hinten zu: Wenn sich Suraj Baba komplett dem schnöden Luxus selbst in primitivster Form verweigert, warum trägt er Anzug und Brille? Wieso nutzt er Annehmlichkeiten wie Radio oder Gaskocher? Offensichtlich sucht Suraj also noch nach seinem Platz, der Erleuchtung, dem Weg und – wie oft betont – dem Sinn des Lebens. Grund genug für ihn, die Isolation zu verlassen, gen Kumbh Mela zu pilgern, die weltgrößte religiöse Zusammenkunft.
Vorliegender Doku gefällt es allerdings, sie hauptsächlich als folkloristisches Fest darzustellen, mit gleißenden Lichtern, bunten Impressionen und nackt badenden Männern. Das kann so sein, es fehlt dem Autor diesbezüglich an Erfahrungswerten, aber gefühlt geht’s doch eher um schöne Bilder als das Vermitteln von Informationen, obgleich der Off-Kommentar alle Mühe aufbringt, Hintergründe zu beleuchten. In solcher Kommunikationsbereitschaft schlummert indes grundsätzlich ein weiteres Problem: Suraj selbst redet zwar viel, sagt jedoch erstaunlich wenig. Woraus zunehmend ein Längeneffekt resultiert, Geräusche tropfenden Wassers oder entschlossen wehenden Windes lullen zusätzlich ein.
Brüche gibt’s immer mal visuell, meist dann, wenn der Mensch als winziges Rädchen inmitten der gigantischen, unverfälschten Natur gezeigt wird. Stark – bis gleich darauf Suraj tendenziell jammernd erneut verbal bekundet, daß er gar nicht weiß, was er möchte, braucht, zu finden hofft.
Am Ende, nach der Erkenntnis des Loslassens als existenzielle Essenz und Vorbereitungen auf die „letzte Reise“, steht eine finale Frage: Hat hier jemand tatsächlich höhere Weisheit erlangt – oder angesichts seiner psychischen Unentschlossenheit schlicht vergessen zu leben?
CH 2012, 87 min
FSK 0
Verleih: Arsenal
Genre: Dokumentation
Stab:
Regie: Gaël Métroz
Kamera: Gaël Métroz
Kinostart: 22.08.13
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...