Miryang, was übersetzt so viel heißt wie verborgener Sonnenschein, ist der Name einer Stadt im Süden Koreas und der Ort, an dem Lee Chang Dong sein zurückhaltend erzähltes Drama ansiedelt. Die junge Klavierlehrerin Shin-ae will mit ihrem Sohn Jun hier ein neues Leben anfangen. Ihr Mann kam bei einem Unfall ums Leben, und seine Geburtsstadt, in die er immer zurückkehren wollte, soll für Mutter und Sohn, so Shin-aes Hoffnung, eine Art moralisches Auffanglager werden. Für die Einheimischen ist die junge Witwe aus Seoul willkommenes Gesprächsthema, und der Mechaniker Jong Chan, der seine Werkstatt in der Nachbarschaft der neu eröffneten Klavierschule hat, versucht mit unbeholfenen Avancen, sein Junggesellendasein zu beenden.
So weit fühlt man sich in der altbekannten Geschichte – Großstadtpflanze trifft auf kleinstädtische Engstirnigkeit, gewinnt aber bald das Herz ihrer neuen Nachbarn – gut aufgehoben. Doch Lees Handlung kippt in eine ganz andere Richtung, und Miryang wird nicht zum Anfangspunkt einer Liebesgeschichte oder gar dem idyllischen Ort, den Juns Vater beschwor, wenn er davon sprach, daß Kinder auf echtem Boden gehen sollten, sondern zum Grab seines Sohnes. Was für unsereins als etwas seltsam ausführlich erzählter Glaubensfindungspsychothriller weitergeht, stellt für koreanische Verhältnisse eine kleine Rebellion dar. Denn fährt man durch Korea, fallen unzählige neu erbaute Kirchen auf, die sich in Größe und architektonischer Ausgefallenheit zu überbieten trachten, mit ihren Werbebannern aber eher an Shopping Malls erinnern. Kein anderes Land neben den USA betreibt die Missionierung mit solch einem Eifer wie die Koreaner, und die Strukturen der Kirchen erinnern an die konkurrierender Unternehmen. So dürfte zwar die Erlösung, die Lee seine Hauptdarstellerin durch Gott finden läßt, im besten Sinne der Kirchenvertreter gewesen sein, doch ihr baldiger Abfall vom Glauben und ihre sündhaften Racheaktionen wohl kaum.
Auch die fein gesetzten Anspielungen, daß Shin-aes Mann eigentlich eine Geliebte hatte, sowie die Spannungen zwischen der jungen Frau und ihrer Familie greifen Themen auf, die in der koreanischen Gesellschaft sehr sensibel verhandelt werden. Schwankt diese doch zwischen dem Drang, den Wirtschaftsboom der letzten dreißig Jahre voranzutreiben und dem Festhalten an tiefverwurzelten Traditionen.
Originaltitel: MIRYANG
Südkorea 2007, 142 min
Verleih: REM
Genre: Drama
Darsteller: Jeon Do-yeon, Seon Jung-yeop, Song Kang Ho
Regie: Lee Chang Dong
Kinostart: 28.05.09
[ Susanne Schulz ]