Originaltitel: FEMMEFILLE
D 2014, 87 min
FSK 12
Verleih: Farbfilm
Genre: Dokumentation, Biographie, Schicksal
Regie: Kiki Allgeier
Kinostart: 16.07.15
… das nicht dick werden wollte“ – unter diesem Titel veröffentlichte die damals 28jährige Französin Isabelle Caro 2008 ihre Autobiographie. Erst ein Jahr zuvor war sie durch die Fotos des italienischen Starfotografen Oliviero Toscani weltweit bekannt geworden, der ihren ausgehungerten Körper anläßlich der Mailänder Modewoche auf Plakaten in der ganzen Stadt präsentierte. Das Modelabel No-l-ita wollte mit dieser Kampagne ein Zeichen gegen die Magersucht setzen. Die darauf einsetzende Medienaufmerksamkeit war gewaltig. Auch die Filmemacherin Kiki Allgeier wandte sich an Isabelle Caro und begleitete sie immer wieder mit der Kamera bis zum frühen Tod Caros im November 2010. SEHT MICH VERSCHWINDEN ist das berührende Porträt einer jungen Frau, die gleichzeitig Gefangene und Profitierende ihrer Krankheit war.
Isabelle Caro träumte von einem Leben als Schauspielerin, doch wurde sie von ihrer Umgebung primär als „die Magersüchtige“ wahrgenommen. Es war für sie unmöglich, den Widerspruch aufzulösen, daß sie die große mediale Aufmerksamkeit allein der Zurschaustellung ihres abschreckend-faszinierenden Körpers verdankte. Konsequent stellt Allgeier nicht Caros Krankheit in den Mittelpunkt ihres Filmes. Aus privaten Archivaufnahmen, Aufzeichnungen von Caros Fernsehauftritten sowie Medienberichten über sie und Interviewsequenzen mit ihr und ihrem Vater zeichnet sie das Bild eines seit seiner Kindheit zutiefst verletzten und in seinen Möglichkeiten beschnittenen Menschen. Isabelle Caro litt zeitlebens an einer Krankheit der Seele, deren Heilung ihr nicht gegeben war. Und doch – und das ist das besondere Verdienst des Films – wird die junge Frau nicht als Opfer inszeniert. Sie genoß zweifelsohne den Rummel um ihre Person und die Möglichkeiten, die sich ihr dadurch boten, und sie war bereit, einen hohen Preis dafür zu zahlen.
Im Gegensatz zu vielen Medienberichten über Caro enthält sich Allgeier jeglichen Voyeurismus’. Vielmehr entlarvt sie die Scheinheiligkeit des Medien- und Modezirkus’, der sich über Isabelles abgemagerten Körper entsetzt und gleichzeitig sein Bild zur Auflagensteigerung benutzt. So dürfte die eingangs erwähnte No-Anorexia-Kampagne von No-l-ita in erster Linie den Bekanntheitsgrad des Labels gesteigert haben. Doch ist Magersucht keine Krankheit, der sich durch abschreckende Bilder vorbeugen ließe, denn sie hat ihre Ursache weniger in einem falschen Schönheitsideal als in einer tiefgehenden Verunsicherung der eigenen Identität.
[ Dörthe Gromes ]