Originaltitel: SEPTEMBER 5

D/USA 2024, 91 min
Verleih: Constantin

Genre: Drama, Thriller

Darsteller: Ben Chaplin, Peter Sarsgaard, Leonie Benesch

Regie: Tim Fehlbaum

Kinostart: 09.01.25

September 5

TV-Terror in Echtzeit

Neben Alex Garlands oft mißverstandenem Kriegsfilm CIVIL WAR ist SEPTEMBER 5 in diesem Jahr eine weitere überragende Auseinandersetzung mit den unbequemen Seiten journalistischer Praxis. In beiden Filmen werden Gratwanderungen zwischen Sensationslust und Aufklärungsdrang, Dokumentation und Mittäterschaft als kaum aufzulösende Dilemmasituationen gezeigt. Der Hintergrund von Tim Fehlbaums Thriller – es ist nach den eher durchwachsenen Genre-Übungen HELL und TIDES sein bislang stärkster Film – ist oft beleuchtet worden.

Ein weiteres Mal beschäftigt sich ein Filmemacher mit dem Geiseldrama im Rahmen der Olympischen Spiele in München 1972. Mehrere israelische Olympioniken wurden damals von palästinensischen Terroristen entführt und getötet. Was Fehlbaum jedoch unternimmt, ist weder eine ausführliche Rekonstruktion der historischen Ereignisse noch ein moralisches Pamphlet, das fingerhebend auf deren Brisanz und Gegenwärtigkeit verweist. Stattdessen verengt der Schweizer Regisseur radikal die Perspektive und erzählt die Geschichte aus den kargen Räumlichkeiten eines amerikanischen ABC-Sendestudios heraus, wo sich ein unzuverlässiges Bild der Begebenheiten über permanente Telefonate und flackernde Bildschirme zusammensetzt.

SEPTEMBER 5 ist ein hochspannendes Kammerspiel, nicht nur über eine historische Zäsur, mit der der Terror zum sendereifen TV-Ereignis in Echtzeit wurde, sondern auch ein hitziger Drahtseilakt über die Auswahl, Moderation und Inszenierung von Medienbildern. Schnitte, Kadrierung, die Wortwahl in Meldungstexten, das Framen von Szenen und die Fehleranfälligkeit im Bericht werden zu zehrenden Herausforderungen, während sich die Konkurrenzen und ökonomischen Zwänge des Medienbetriebs offenbaren. Sie servieren dem Publikum kein simples Statement, bieten aber genügend Möglichkeiten, um Fragen zu stellen, und schaffen ein Bewußtsein für die Fallhöhe des journalistischen Handwerks. Umso dringlicher wird das, wenn die nostalgisch grobkörnigen Aufnahmen und Retro-Gerätschaften mit dem Bewußtsein heutiger digitaler Bilderfluten kollidieren, die die Verantwortung der Inszenierung in die Hände aller legen. An dem Moment, da das Publikum live dabei sein kann, zeigt dieser Film: Wenn man glaubt, die Welt eingefangen zu haben, wird sie umso unübersichtlicher.

[ Janick Nolting ]