Originaltitel: MANBIKI KAZOKU
J 2018, 121 min
FSK 12
Verleih: Wild Bunch
Genre: Drama, Familiensaga, Poesie
Darsteller: Lily Franky, Jyo Kairi, Sasaki Miyu
Regie: Hirokazu Kore-eda
Kinostart: 27.12.18
Wie sich die Erziehungsmethoden gleichen: Aus weisem Mund ertönt die liebevolle Rüge: „Nicht mit Stäbchen auf andere Leute zeigen.“ Zack! So niedlich, schon hat uns NOBODY KNOWS-Regisseur Hirokazu Kore-eda am Haken. Noch fester, wohlgemerkt, denn wir zappelten bereits vorher an der Angel, von Beginn an, welcher ein nonprofessionelles Diebesduo begleitete. Gelegenheitsarbeiter Osamu und Sohn Shota ziehen Lebensmittel hoch, aus reiner Verzweiflung, um im kalten Winter nicht zu verhungern. Schließlich kommt daheim eine Mehrgenerationenfamilie auf engstem Raum gerade über die Runden.
Es bestätigen sich kurz darauf wieder mal zwei Beobachtungen: Leid trifft am härtesten immer die wehrlosen Kinder. Und es gibt stets mit offenen Händen, wer selbst am wenigsten besitzt. Weswegen sofort gehandelt wird, als Osamu ein frierendes Mädchen mit blauen Flecken bemerkt: Man nimmt’s ungeachtet der extrem schwierigen Umstände auf, die Kleine namens Yuri gehört aufgepäppelt!
Fortan geschieht äußerlich kaum etwas und hintergründig doch unglaublich viel, es geht um unbedingten Zusammenhalt, Fürsorge und primär humane Würde, das höchste zu bewahrende und an Bedürftige weiterzugebende Gut. Wenn Yuris eindeutig zu ernstes Gesicht nach einem Haarschnitt erstmals ein schüchternes Lächeln zeigt, sie die Narbe ihrer Ziehmutter streichelt, ein bestohlener Ladeninhaber unerwartet reagiert, eben dezente Gesten zu ganz großen Emotionsexplosionen führen, beweist Kore-eda seine jahrelang unablässig gewachsene Meisterschaft.
Er findet Schmerz im nominellen Kitsch, vermeidet trotzdem lähmendes Gewicht, erzählt episodisch, nicht stringent, ohne je den roten Faden zu verlieren, und obwohl er einige Nebenstränge lediglich anreißt, entsteht nie der Eindruck, Wesentliches zu verpassen. Weil Erklärungen das fragile Geflecht zerstören würden. Die am offenen Herzen nagenden Fragen benötigen sowieso individuelle Antworten: Macht der ausgestandene Geburtsakt eine Frau automatisch zur Mutter? Dürfen externe Stellen mittels gesetzlichen Regelwerks Menschenschicksale lenken? Was bedeutet der Familienbegriff letztlich konkret?
Japans Premierminister verweigerte Kore-eda die Gratulation zu dessen Gewinn der Goldenen Cannes-Palme. Ein größeres Kompliment kann es wohl nicht geben – SHOPLIFTERS trifft ehrlich und ungeschönt mitten ins real existierende Schwarze.
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...