Diese drei Männer heißen Son, Boy und Kid, so als wäre schon immer klar gewesen, daß sie niemals erwachsen werden. Sie sind Brüder und sitzen am liebsten auf der Holztreppe vor Sons marodem Haus; Kid lebt im Zelt und Boy im Van. Sie trinken Dosenbier und schauen versonnen in den goldenen Abend, der sich über den Süden der USA senkt – seine Baumwollfelder, die Fischfarm, auf der Son arbeitet, und den unabänderlichen Lauf des Mississippi. Man könnte meinen, sie sitzen da schon sehr, sehr lange. Doch diese fast paradiesische Trägheit wird bald gestört. Die fettleibige Mutter der Drei steht vor der Tür und verkündet, nüchtern und wortkarg, wie man hier in der Gegend ist, den Auftakt zur Katastrophe: „Euer Vater ist gestorben.“ – „Wann ist die Beerdigung?“
Wer etwas über die Kunst der Reduktion im Dialog lernen will, schaue sich diese Szene an. Die Tragödie der weißen Unterschicht, des sogenannten „White Trash“, kommt im zeitlosen, fast antiken Gewand, als Rachedrama um Erinnerungshoheit – um das Andenken eines Vaters, der nacheinander zwei Familien gründete. Der Vater war ein schlechter Mann für Son, Boy und Kid, doch für Mark und seine Brüder war er ein guter Mann. Sie zählen fast schon zur Mittelschicht, insofern schlummert unter dem Familiendrama auch ein politischer Konflikt. ‚Schlummern’ ist indes das richtige Wort. Denn warum Son bei der Beerdigung auf den Sarg spuckt und damit den blutigen Kampf zwischen Halbbrüdern startet – er weiß es selber schon nicht mehr. Er verteidigt irgendwas, von dem er vergessen hat, was es ist; Sklave eines längst abgedroschen Musters der Menschheitsgeschichte.
All die angeblichen Notwendigkeiten, die hier Schritt für Schritt immer tiefer in den Konflikt führen, scheinen wie aus weiter Ferne zu kommen. Der Film paßt sich mit seinem eher langsamen Rhythmus und seinem lakonischen Humor an diese fast nüchterne Gemütslage an, verzichtet generös auf Gewaltorgien und läßt den Titel ganz bewußt ins Abseits der Erwartung schießwütiger Actionszenen laufen.
Nur wenig Schrot wird hier verschossen, so viel wie eben notwendig, und die Kamera blickt im Zweifelsfall lieber weg. Dafür schaut sie umso lieber auf die markigen Gesichter, die Menschen bei der täglichen Arbeit oder die malerische Landschaft. Sehr weise. Denn das hebt das Unfaßbare des Konfliktes um so stärker hervor.
Originaltitel: SHOTGUN STORIES
USA 2007, 92 min
Verleih: Fugu
Genre: Drama, Thriller
Darsteller: Michael Shannon, Douglas Ligon, Barlow Jacobs
Regie: Jeff Nichols
Kinostart: 24.12.09
[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...