Sie thront wahrscheinlich in jedem Haus: die meckernde, alles und jeden kennende, vermutlich 24 Stunden täglich hinter der Gardine lauernde, meist alte Dame. Vom Leben enttäuscht, sieht sie ihre Aufgabe darin, Kinder anzuranzen. Die gefährdeten Blumenreste im kümmerlichen Hinterhofgarten! Der Lärm! Dieser Schmutz im Treppenhaus! Doch auch andere Bewohner sollten sich vor ihr hüten – hat Frau Meier nicht neulich dreist nach 21 Uhr ein Bad genommen? Oder Müllers Hund kurz gebellt? Obwohl alles protokolliert wird, weiß man: letztlich eine harmlose Person.
Ähnlich informiert, aber viel gefährlicher César. Der Portier eines Miethauses in Barcelona bekennt direkt zu Anfang, kein Glück empfinden zu können. Ein armes Schwein also, ein gequälter Typ, ein bemitleidenswerter Charakter. Würde es nicht seine Freude sein, jedem anderen ebenfalls Unglück zu bereiten. Stets höflich, immer hilfsbereit steht César für Dienste gern zur Verfügung – und wandelt selbige zu gemeinen Sabotageakten um. Stolz erzählt er seiner hilflosen Mutter, wie die Mission voranschreitet. An erfolgreichen Tagen braucht es sogar bloß wenig, da reicht ein cleverer Mix aus Wahrheit und intriganter Lüge, um Mieterin Señora Verónica, eine einsame Hundefreundin, psychisch ins Verderben zu stürzen, und die vom Leid verzerrten Gesichtszüge der Frau verursachen Gänsehaut. Doch an der Bewohnerin von 5B beißt sich César bislang die Zähne aus. Clara, Quell steter Lebenslust, scheint renitent gegen sämtliche Angriffe. Da müssen schwerere Geschütze her ...
Wie schon in DARKNESS und REC stürmt Regisseur Jaume Balagueró also wieder einmal die Bastion moderner Existenz, den letzten sicheren Zufluchtsort: das eigene Heim. Hier allerdings wüten weder übernatürliche Erscheinungen noch Zombies quer durch die Räume, der Schrecken manifestiert sich im bekannten Menschen von nebenan. Unauffällig, durchschnittlich, gar sympathisch und darstellerisch omnipräsent. Wie Luis Tosar den Psychopathen fern bekannter Hollywood-Klischees gibt, ist schlicht groß – nirgends irres Kichern, wüste Augenrollerei, heimliche Ausraster. Jederzeit beherrscht, selbst beim Verzweiflungsmord rational vorgehend. Womit übrigens gleich die einzige drastische Szene angedeutet wäre, denn Balagueró war klar: Blutbäder verwässern den Schraubzwingeneffekt ebenso wie Erklärungen für Césars Handeln. Das Böse braucht halt keine überzeugenden Gründe, es reicht, daß ein Emotionskrüppel sich entschloß, gegen „die Herrschaften“ ins Feld zu ziehen und daraus sein Seelenheil schlürft. Balagueró arbeitet daher mit ausgeklügeltem Sounddesign, manchmal bedienten und oft abgekanzelten Erwartungen oder Andeutungen, welche ins Leere laufen. Und das Gefühl ständiger Bedrohung ungleich verstärken. So liegen im Zuschauerraum die Nerven schon lange ramponiert blank, wenn Clara schließlich ebenfalls erkennt: Her Home Isn’t Her Castle Anymore.
Und was das Ende betrifft: Perfider geht’s einfach nicht. Als echter Magenhieb zeigt es an, wie brüderlich Liebe und Haß einander die Hände reichen, daß – und jetzt schließt sich der Kreis gleich mehrfach – Ereignisse theoretisch höchsten Glücks ein Leben praktisch unwiederbringlich zerstören können. Schlafen Sie gut ...
Originaltitel: MIENTRAS DUERME
Spanien 2011, 100 min
FSK 16
Verleih: Senator
Genre: Thriller, Psycho
Darsteller: Luis Tosar, Marta Etura, Alberto San Juan
Regie: Jaume Balagueró
Kinostart: 05.07.12
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...