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Slumdog Millionär

Danny Boyles herzrührendes Kinomärchen über den unbändigen Hunger nach Leben und den Glauben an das Glück und die Liebe

Daß einem das Herz bebt, daß man mit feuchten Händen, mit Wut unter der Brust, mit Tränen in den Augen einer Geschichte im Kino folgt, passiert wahrlich nicht jeden Tag. Insofern ist Danny Boyles neuester Film ein Wunder, ein Film über ein Wunder zudem. SLUMDOG MILLIONÄR ist ein großes, ein kühnes Märchen über den unbeirrbaren Glauben an das Gute, an die Hoffnung, vor allem an die Liebe. Und damit streng verbunden an das oft überschwere Bild des Schicksals.

Damit weiß man schon, daß diese Geschichte nicht in hiesigen Breitengraden spielen kann, denn bei uns ist das Besinnen auf das Positive doch über die Jahre brüchig geworden, wir haben unsere Naivität und ein Stück des Gutglaubens für den Preis der Schnelligkeit, der Vorteilsgier und des Dauerzweifels zu Markte getragen. Schicksal hat in unserem Kulturkreis doch oft etwas Pejoratives. Gottlob gibt es Künstler wie Boyle, die Geschichten erzählen, die nun nicht demagogisch mahnen, aber durchaus die Möglichkeit einer Rehabilitation der westlichen Gesellschaft anbieten.

Die Geschichte über den Inder Jamal ist so eine, eine Fabel über den Aufstieg, über das Finden des Glücks und die Erfüllung einer echten Liebe. Dabei hält das Leben für den kleinen Jamal nicht gerade die dicksten Rosinen parat: Er wächst in den Slums der Metropole Mumbai auf, als Kind ist er ständig vor der Polizei auf der Flucht, die so gar kein Verständnis für die Streiche der Knirpse aufbringt. Und doch zeigt sich schon da, daß Jamal eine ganz besondere Gabe hat. Er ist ein sturer Kerl, der es unbedingt schaffen will, wenn er sich etwas in den Kopf setzt. Wie eine junge wilde Katze flieht er vor den Bullen durch die Slums, schlägt Haken, neckt die Verfolger, und als er eines Tages von einem Filmstar ein Autogramm haben will, kämpft er sich in seinem Eifer dafür sogar durch die Kloake. Die in seinen Augen bis dahin recht sorglose Kindheit ist mit einem Mal vorüber, als seine Mutter als Teil der muslimischen Minderheit bei einem hinterhältigen Angriff getötet wird. Jamal und sein Bruder Salim sind fortan auf der Flucht, das Mädchen Latika schließt sich ihnen an. Was dann folgt, ist eine kaum denkbare Odyssee durch die Abartigkeit menschlichen Tuns. Knapp entkommen die Drei einer Bande, die Kinder zum Betteln auf die Straße schickt. Denjenigen, die mit einer besonders schönen Singstimme gesegnet sind, werden die Augen weggebrannt, weil ein blinder Sänger noch mehr Mitleid erzeugt und damit noch mehr Almosen in die Kassen der gierigen Verbrecher spült. Immer wieder werden die Kinder auseinander gerissen, Salim entpuppt sich aber bald selbst als knallharter Ganove, und Latika wird von fetten alten Säcken wie eine Sklavin gehalten. Sie wird Jamal erst Jahre später wiedersehen, wenn er ein echter Sieger ist ...

Immer wieder fragt man sich: Was ist das für ein Land, was ist das für eine Welt? Doch Danny Boyle stellt der Empörung viele magische Momente zur Seite, er erzählt seine Geschichte in rückblickenden Episoden, so daß man auch mal Luft holen kann. Jamal hat es auf den Stuhl des indischen „Wer wird Millionär?“ geschafft und steht nun vor der letzten Frage. Der korrupte Moderator gönnt dem jungen Mann aus dem Slum nicht den Gewinn, er versucht ihn zu linken, überführt ihn des angeblichen Betrugs einer folternden Polizei. Dieses „Verhör“ nutzt Boyle als Ausgangspunkt für die Wahrheit bringenden Erinnerungen Jamals. Und gewiß gibt es Geschichten, die vielleicht runder, auch raffinierter erzählt sind, aber dieses Bruchstückhafte der Episoden aus schwer durchkämpfter Kindheit und Jugend entspricht perfekt der Hauptfigur, die durch die Jahre gehetzt wurde: ein bißchen Kindheit, ein bißchen Jugend, ein bißchen Glück und noch mehr Schmerz.

Man spürt es in jeder Einstellung: Boyle hat Wut, auch auf sich selbst als Teil einer satten Gemeinschaft, als Fragensteller, wie sich in einem derart bunten Land so viel Bösartigkeit so viel Platz verschafft. Diese Wut hat dennoch ­Boyles Blick nicht auf das Ziel verstellt. Das Motiv seines Helden, seines sich durchbeißenden Kämpfers ist das Ziel aller Ziele. Nicht der schnöde Mammon ist der Antrieb Jamals, um als Sieger den Platz zu verlassen. Dafür reicht dem sympathischen Jungen allein ein hehres Motiv: die Liebe.

Originaltitel: SLUMDOG MILLIONAIRE

GB/USA 2008, 120 min
FSK 12
Verleih: Prokino

Genre: Drama, Schicksal, Erwachsenwerden

Darsteller: Dev Patel, Anil Kapoor, Irrfan Kahn

Regie: Danny Boyle

Kinostart: 19.03.09

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.