Originaltitel: SAVVUSANNA SÕSARAD
Estland/F/Island 2023, 89 min
FSK 12
Verleih: Neue Visionen
Genre: Dokumentation, Saunafilm
Regie: Anna Hints
Kinostart: 23.11.23
„Hallo, liebe Sauna“, grüßen die Frauen das einfache Holzhäuschen im Wald, wie eine alte Freundin. Die traditionelle Rauchsauna ist ein estländisches, seit Generationen überliefertes Ritual, ein heiliger, kraftspendender Ort. Hier verbinden sich Körper und Seelen.
Filmemacherin Anna Hints, die mit diesem im besten Sinne bezaubernden und feministischen Langfilmdebüt den Regiepreis beim diesjährigen Sundance Filmfestival gewann, zeigt uns zunächst weibliche Körper in ausschnitthaften Einstellungen. Eine Brust, ein Rücken, eine Hand, die ihn abschrubbt, Schweiß auf der Haut, Birkenzweige gleiten über Beine. Das Wasser zischt beim Aufguß, der Rauch schwebt in der Luft, wird immer dichter und läßt alle Frauen fast zu einem einzigen Körper verschmelzen. Mit Gesängen werden Macht und Stärke beschworen. Das wirkt kein bißchen seltsam esoterisch aufgesetzt, sondern ganz klar: So muß und darf es sein!
Die Frauen fangen an zu sprechen, wobei oft nicht erkennbar ist, woher die Stimme kommt, die gerade erzählt. Hints bietet ihren Protagonistinnen Schutz, signalisiert damit aber auch, daß es ihr nicht explizit um einzelne persönliche Frauenschicksale geht, sondern um das, was Frau, als politisches und gesellschaftliches Konstrukt gedacht, im Laufe ihres Lebens widerfahren kann. Vieles hat mit Erwartungshaltungen zu tun – wie der weibliche Körper beschaffen sein soll, um als schön und rein zu gelten, welche Rollen eine Frau beim Sex einzunehmen hat und in der Familie, wen man begehren darf und wen nicht. Die Frauen erzählen sehr ehrlich von Eltern, die es als Schwäche empfanden, Zuneigung zu zeigen, von Großmüttern, die von ihrem Mann geschlagen wurden, von Totgeburt, Vergewaltigung und Krankheit. Das weibliche Geschlecht wird schon von Geburt an als fehlerhaft empfunden, so wurde es den Frauen von ihren Müttern vermittelt. Denn die Tochter braucht eine Mitgift, der Sohn kann arbeiten.
Alles, was im Dampf der Sauna zu Tage tritt, die Angst, Trauer und Wut, wird mit solidarischer Wärme und Geborgenheit aufgefangen. Über die Jahreszeiten sehen wir den Schnee kommen und gehen. Der Fluß sorgt für Abkühlung, die Wiese lädt zum Sonnen ein. Es wird viel gelacht, und es wird laut gesungen – oder eher mit Inbrunst skandiert. Was gehen muß, soll gehen!
[ Susanne Kim ] Susanne mag Filme, in denen nicht viel passiert, man aber trotzdem durch Beobachten alles erfahren kann. Zum Beispiel GREY GARDENS von den Maysles-Brüdern: Mutter Edith und Tochter Edie leben in einem zugewucherten Haus auf Long Island, dazu unzählige Katzen und ein jugendlicher Hausfreund. Edies exzentrische Performances werden Susanne als Bild immer im Kopf bleiben ...