Originaltitel: CELLE QUE VOUS CROYEZ
F/Belgien 2018, 102 min
FSK 12
Verleih: Alamode
Genre: Drama, Psycho
Darsteller: Juliette Binoche, François Civil, Nicole Garcia, Charles Berling
Regie: Safy Nebbou
Kinostart: 08.08.19
Einmal liegt Claire (Literaturdozentin, Anfang 50) mit ihrem Geliebten Alex (Fotograf, Ende 20) im Bett und macht dort, was in bestimmten französischen Filmen (oder Büchern), die sehr darauf bedacht sind, wie bestimmte französische Filme (oder Bücher) zu wirken, immer wieder mal gern gemacht wird: Man liest sich etwas vor. Nein, natürlich nicht irgendetwas Profanes, aber hallo! Rilke ist es im konkreten Fall. „Lösch mir die Augen“ heißt das Gedicht, das zu hören ist und das zum Geschehen in Safy Nebbous SO WIE DU MICH WILLST die poetische Verklausulierung, den Kommentar aus der gehobenen Position und von orakelnder Qualität darstellt.
Die Augen löschen: Daß Claire 50 ist, weiß Alex nicht. Er weiß nicht mal, daß sie Claire heißt. Und erst recht nicht, wie sie aussieht. Also in Wirklichkeit. Clara ist der Name, unter dem Alex Claire kennenlernt – auf Facebook, wo sie als 24jährige Tänzerin mit dem Foto einer anderen, einer eben jungen schönen Frau für Alex’ Augen und für sich selbst auch ein Traumwesen erschafft, das fern jener Realität existiert, in der Claire sich gefangen fühlt. Als geschiedene Frau mit zwei Kindern, die nichts so sehr begehrt, wie einmal wieder begehrt zu werden.
Basierend auf einem autofiktionalen Roman der Autorin Camille Laurens zeigt SO WIE DU MICH WILLST, wie die Verführungskraft zur virtuellen Scheinexistenz gleich einer Droge erst die Höhenflüge, dann die Höllenabstürze provoziert. Was sich hier aber leider weitteilig zu einem Szenenreigen formiert, der immer wieder dazu neigt, das eine (Höhenflüge) wie das andere (Abstürze) in die wohltemperierten Klischees geschmäcklerischer Feinsinnigkeit zu kleiden. Soll heißen: Es gibt viel Regen und Im-Regen-Stehen zu kammermusikalischen Böen. Dazu lange Blicke in das Gesicht Juliette Binoches, die als Claire freilich eine ausgesprochen begehrenswerte Begehrende ist. Weshalb sich wohl die Handlung auch bald zu ein paar fiesen Schicksalshaken bemüßigt fühlt, die mithelfen sollen, das Verhalten Claires zu erklären.
Daß der Film gleichwohl sehenswert ist, hat Gründe, die eher abseits des Psychogramms dieser Frau in einer Lebenskrise liegen. Es sind jene variierenden Erzähl-, Imaginations- und Perspektivebenen, die hier in einer durchaus reizvollen Konstruktion vorführen, daß zu einer Geschichte oft viele Geschichten gehören. So wie zur Wirklichkeit die Erfindung der Wirklichkeit. Daß Claire und Alex im Bett gemeinsam Rilke lesen, ist nur eine davon. Ein bittersüßer Twist der Phantasie.
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.