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Sommer vorm Balkon

... und keine Ferien vom Leben!

Mit Ausnahme der stilisierteren Romanadaption WILLENBROCK entstehen Andreas Dresens Filme aus so wenig Papier wie nötig und so viel Leben wie möglich. Nachdem zum Beispiel HALBE TREPPE ganz ohne Drehbuch auskam, arbeitete er diesmal mit Wolfgang Kohlhaase zusammen, der einmal mehr beweist, wie wenig papieren eine aufgeschriebene Geschichte sein muß. "Als ob man dem Leben bei der Arbeit zuguckt." - so charakterisiert Dresen das Buch, und genau so begleitet er seine Figuren durch einen Sommer im Prenzlauer Berg.

Katrin, die vor ein paar Jahren der Liebe wegen aus dem Breisgau kam, lebt allein mit ihrem Sohn, seit der Liebe zu einer Neuen zog. Ohne Arbeit, mit Bewerbungstraining vom Arbeitsamt und immer öfter sturzbetrunken wurschtelt sich die gelernte Schaufensterdekorateurin durch schmucklose Tage. Nur an den Abenden, die sie mit Nachbarin Nike auf deren Balkon vertrinkt, glänzt dieses unsanierte Kiez-Berlin. Nike ist die Lautere, die Lebenstüchtigere. Von ihrem Job in der häuslichen Krankenpflege, den eingepißten Hosen, den lieblosen Angehörigen läßt sie sich nicht die jute Laune verderben. Und ob der Typ, den sie in der Eckkneipe aufgegabelt hat, nun Roland oder Ronald heißt, ob es da noch eine Ehefrau bei Eberswalde gibt - wer sich mies benimmt, schläft draußen.

Nana Mouskouri singt diesem Film ihr fröhliches "Guten Morgen, Sonnenschein" ins Gewissen. Doch es ist ein Dresenscher Sommer, also eigentlich ein menschenwarmer Herbst. In gewohnt unprätentiösen, aber nie beliebigen Bildern faßt der nach wie vor hellwache Spezialist für das alltägliche Nebeneinander von Komik und Tragik eine Lebenswelt, in der die Straße dem Balkon immer näher bleibt als der Himmel, in der nach einer Liebesnacht immer das ernüchternde Salamibrot am Frühstückstisch kommt.

Auf den leichteren wie den traurigen Wegen folgen die Schauspieler ihrem Regisseur so selbstverständlich, als wären sie zu Hause. Diesmal jedoch gestattet er ihnen kaum ein An- oder Weiterkommen, führt sie weniger zwingend von einer in die nächste Situation. Die Aussicht ist und bleibt Balkonien. Aber vielleicht darf, vielleicht muß eben auch bei Dresen ein Sommer zielloser sein als andere Jahreszeiten.

D 2005, 110 min
FSK 12
Verleih: X Verleih

Genre: Tragikomödie

Darsteller: Inka Friedrich, Nadja Uhl, Andreas Schmidt

Stab:
Regie: Andreas Dresen
Drehbuch: Wolfgang Kohlhaase

Kinostart: 05.01.06

[ Sylvia Görke ]