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Song For Marion

„Da capo!“-Seelenkonzert für vier starke Stimmen unter brillantem Dirigat

Wer im Internet nach Fotos von Autor und Regisseur Paul Andrew Williams sucht, wird schnell feststellen: Es ist schwer, Bilder zu finden, auf denen der Mann lächelt und nicht darüber hinaus aussieht, als wäre er letzte Nacht versackt. Auch seine in Falten gelegte Stirn gehört meist zum Mimik-Repertoire. Ein grüblerischer Pessimist demnach? Und der hier zur Rezension stehende Film folgerichtig ein bleierner Schwanengesang auf das böse Leben? Mitnichten! Obwohl Williams’ Werk definitiv zu Tränen rührt.

Eine langjährige Ehe steht im Mittelpunkt, die Verbindung zweier Sturschädel, sich auf diese spezielle Art anzickend, wie sie nur echte Zuneigung erlaubt. Einmal eröffnet Marion ihrem Arthur zärtlich: „You Are My Rock!“ Und zwischen den Zeilen schwingt deutlich hervor, daß es eigentlich andersrum läuft, obwohl Arthur, ewig grummelnd, es natürlich nie zugeben würde, viel lieber Marions Freizeitbeschäftigung, das Singen im Chor, nimmermüde blödsinnig findet. Und erst die anderen Leute dort! Freunde sollen sie sein? Wohl kaum, alles Störfaktoren! Marion indes benötigt Nähe und Zuspruch, leidet an Krebs, die Zeit rast. Unvermittelt ist sie dann vorbei.

Grundsätzlich harter Stoff, den Williams einem Quartett brillanter Darsteller anvertraut. Christopher Eccleston gibt kompetent den vom Vater ignorierten Sohn, welcher um dessen Zuneigung kämpft. Dagegen Gemma Artertons Musiklehrerin: trotz ausgesucht biederer Oberbekleidung süß wie ein Honigbrötchen, aber nicht annähernd so klebrig. Als Marion porträtiert Vanessa Redgrave keine dahinsiechende, am Schicksal verzweifelnde Sterbende, sondern eine möglichst noch das Nötige regelnde Frau und Mutter, deren nahender Tod zwar auch verbal nie ausgeblendet, aber ebenso wenig dramatisch ausgewalzt wird. Eine Tatsache, Diskussion unnötig. Aus Marions Blickwinkel eventuell gar eine Chance, Dinge ins Lot zu rücken. Allein das Vermögen, dem tabuisierten Thema solche Sichten abzugewinnen, müßte Williams jede nur denkbare Würdigung sichern. Doch da gibt es ja weiterhin Terence Stamp, das grantige Herz der Geschichte, die hinter hängenden Mundwinkeln verschanzte Seele. Seinem Arthur obliegt es, Marions Gesangsstunden fortzuführen.

Und wie Arthur sich sukzessive öffnet, menschlichen Kontakt sucht, den Verlust verarbeitet, bringt dann wirklich feuchte Augen hervor, auf positive Weise. Sich eben noch über einen knochentrockenen Ausläufer britischen Humors amüsierend, zerreißt es den Zuschauer Sekunden später schier, wenn Arthur zum ersten Mal lächelt. Dieses vage Lächeln voller Ungläubigkeit und der unausgesprochenen Furcht: Darf ich das überhaupt – jetzt, da meine Frau tot ist?

Zum Lachen animieren, während man gleichzeitig zur Seite geneigt schluchzen möchte. Jene unglaubliche Kunst beherrscht Williams, gleichsam das Inszenieren Aufmerksamkeit verdienender Details. Deshalb, um mögliche Berührungsängste abzubauen, nochmals explizit: SONG FOR MARION ist kein Film, nach dessen Ende das Leid der ganzen Welt den Nacken niederdrückt, im Gegenteil – man hat das Kino wohl lange nicht so angeregt und guten Mutes verlassen. Und weil dankenswerterweise außerdem die Originalfassung zur Sichtungsoption steht, lockt obendrauf zusätzlich ein Lerneffekt. Konkret ist zu erfahren, was es mit Poison Ivy und Dark Horse auf sich hat ...

Originaltitel: SONG FOR MARION

GB 2012, 93 min
FSK 0
Verleih: Ascot

Genre: Tragikomödie, Musik, Poesie

Darsteller: Terence Stamp, Gemma Arterton, Christopher Eccleston, Vanessa Redgrave, Anne Reid

Stab:
Regie: Paul Andrew Williams
Drehbuch: Paul Andrew Williams

Kinostart: 14.03.13

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...