Ein großer Mann stakst mit nackten Füßen über wasserreichen Waldboden. Feuchter Nebel steigt zwischen den Urwaldriesen auf. Er erinnert sich, wie er zum ersten Mal mit dem Großvater seiner Frau Buschschweine erlegte, exotische Früchte und frischen Waldhonig sammelte. „Wir aßen wie Könige“, erzählt er.
Der Mann, der vom Leben in der Wildnis schwärmt, heißt Louis Sarno. Mitte der 80er Jahre hatte der US-Amerikaner im Radio fremde Klänge gehört, „ ... ein polyphones Geflecht aus Frauenstimmen, raffinierte Jodellaute, eine sich endlos wiederholende an- und abschwellende Melodie“, sagt er später. Der Musikologe sucht die Komponisten und findet sie im zentralafrikanischen Urwald bei den Pygmäen, Völker, die in den Regenwäldern Zentralafrikas traditionell als Jäger und Sammler leben. Sarno läßt seine gescheiterte Ehe hinter sich und macht sich auf die Reise. Im Urwald findet er den Stamm der Bayaka. Obwohl die kleinwüchsigen und mit Tattoos verzierten Menschen ihn anfänglich mit schlammigen Kaulquappen füttern, bleibt er, zeichnet tausend Stunden Musik auf, verliebt sich in eine Frau und zeugt mit ihr einen Sohn.
Was wie ein Märchen klingt, beschrieb der Journalist Michael Obert schon 2004 in einer Reportage. Nun hat der 48jährige einen Film über Louis Sarno gedreht. Die Bilder aus dem Urwald, die ärmlichen Hütten und die nächtlichen Tänze und Gesänge sind eindrucksvoll und füttern die Sehnsucht gesättigter Westler nach dem Unberührten. Das Besondere an Sarnos Geschichte aber ist, daß er nicht nur das Fremde erleben will, sondern selbst Teil von ihm wird. Er lernt die Sprache der Bayaka und verzichtet nicht nur auf Strom aus der Steckdose, Konservenfutter oder Internet, sondern auch darauf, seinem eigenen Sohn das Lesen und Schreiben beizubringen. Der Junge wächst so auf, wie die Bayaka es für richtig halten: spielend und jagend.
In der zweiten Hälfte des Films wird die Magie der Wildnis noch einmal neu verhandelt: Sarno nimmt seinem Sohn mit nach Amerika. Regiedebütant Obert verbildlicht diese Überlappung der Welten auf poetische Art und Weise. Er kombiniert Großstadtbilder mit Urwaldklängen. „Kann ich eine weiße Frau heiraten?“, fragt der Sohn den Vater, als sie in New York Wolkenkratzer bestaunen. Doch das, was den Jungen an der westlichen Welt fasziniert, ist Sarno längt verloren gegangen, und er muß festellen, daß es kein Zurück gibt: „Sie führten mich in ihre Musik ein, im Gegenzug verlangten sie mein Leben. Ich denke, das ist ein fairer Tausch.“
D 2013, 97 min
FSK 0
Verleih: Real Fiction
Genre: Dokumentation
Regie: Michael Obert
Kinostart: 09.10.14
[ Claudia Euen ]