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Songs Of Love And Hate

... als lautleise Lieder

Das Faszinierende an Familiengeschichten sind die verborgenen, unausgeloteten Abgründe, die Regisseurin Katalin Gödrös in ihrem Drama gekonnt ausbreitet. Es brodelt unter der betulich glatten Oberfläche einer Schweizer Winzerfamilie, das kann man schon nach wenigen Einstellungen spüren, nur noch nicht verorten. Denn alle Charaktere wirken nahezu bezugslos. Lilli, die eine kleine Schönheit ist, Roberta, ihre eher burschikose Schwester, und das Paar Anna und Rico fügen sich erst langsam zu einer Familie. Der schwelende Konflikt liegt also nicht so, daß der Vater eine neue Frau fand oder andersherum – nein, eigentlich ist alles „normal.“ Nur der Hund schlägt auf einmal an, als er Lilli nackt im Bad entdeckt. Rico meidet den Blick auf die erwachende Weiblichkeit seiner Tochter – „ganz die Mutter, nur in neu“, wie man sich im Dorf erzählt.

Gödrös löst nicht auf, was genau vorgefallen ist, sie spielt mit sexueller Energie. Dabei bedient sie sich klassischer Konfliktlinien und Bilder, die sie feinfühlig und mit großer Intensität neu erfindet: Mutter und Tochter verbindet Kälte und aufkeimende Konkurrenz, der Wald bietet Schutz und Bedrohung, ein blutrotes Muttermal wird Symbol der Obsession und Verletztheit zugleich. Der bestechenden schauspielerischen Leistung von Sarah Horváth, die Gödrös als eine stark verwebte Mischung aus lolitahafter Unschuld, Opfer und Biest inszeniert, ist zu verdanken, daß das seelische Dilemma, in dem sich Lilli befindet, in geheimnisvoller Schwebe verbleibt. Horváth erhielt für ihre Darstellung den Nachwuchspreis auf dem diesjährigen Max-Ophüls-Festival.

Lilli scheint auf schmalem Grad zwischen Aggression und Schutzbedürftigkeit zu balancieren. Alles ist recht, männliche Annäherungen zu provozieren, um gleichzeitig abzuwehren. Um jeden Preis soll der Vater leiden und sie trotzdem verteidigen. So wandelt sich das wie auch immer geartete Band zwischen Rico und seiner Tochter rasant in eine verschwörerische Mitwisserschaft, die die beiden gegen die Außenwelt schützt, im Kern aber selbstzerstörerisch wirkt.

Die dörfliche Familienidylle am Rande der Alpen gerät zur Farce, und am Ende muß jeder sehen, wie er mit einigermaßen heiler Haut davonkommen kann. Roberta vielleicht durch die zarte Liebe zu ihrer Nachbarin, Anna eventuell allein, ohne Rico. Und Lilli? Keine leise Ahnung.

CH 2010, 89 min
Verleih: Missing Films

Genre: Drama

Darsteller: Sarah Horváth, Jeroen Willems, Ursina Lardi, Luisa Sappelt, Joel Basman

Regie: Katalin Gödrös

Kinostart: 08.12.11

[ Susanne Schulz ]